Was wünscht eine Uni von ihren Studenten?

Tim Göbel

Im Wissen um diese Paradoxie stelle ich dennoch drei Anforderungen aus meinen Beobachtungen der letzten zehn Jahre an der Zeppelin Universität und an vielen Schulen zusammen – verbunden mit der Empfehlung, einfach so zu bleiben, wie man ist: 

Erstens: Grundfertigkeiten

Die Grundfertigkeiten müssen sitzen: Lesen, Schreiben, Rechnen, Reden. Das Studium an einer Hochschule und die Beschäftigung mit wissenschaftlichem Wissen sowie die im Laufe des Studiums einsetzende eigene Produktion von wissenschaftlichem Wissen kann ohne diese Fertigkeiten nicht geleistet werden. Da helfen auch keine ausgeprägten sozialen Kompetenzen oder der Gewinn von sieben Planspielen. Die Schule muss den Schülern die Möglichkeit gegeben haben, sich diese vier Fertigkeiten anzueignen.

Zweitens: Beobachtungskompetenz

Erfolgreiche Menschen beobachten ihre jeweiligen Umwelten und Märkte und entdecken Nischen, die andere nicht sehen. Eine präzise Beobachtungs- und Wahrnehmungskompetenz hilft Studierenden, ihre eigene Nische zu finden. Hochschulen können dies fördern, indem sie Möglichkeiten des Beobachtungstrainings anbieten: Von der Bildanalyse in den Kunstwissenschaften bis hin zu kleinen intimen Runden, in denen Studierende mit Vorständen und Unternehmern plaudern und diese auf ihre Kompetenzen und Kompetenzsimulationen hin beobachten.

Drittens: Kommunikations- und Netzwerkkompetenz

Heute ist es nicht ausreichend, etwas zu wissen oder zu können. Man muss es auch kommunikativ vermitteln können und wissen, wer die wichtigen »Spieler« sind. Hausarbeiten bereits in unteren Semestern können die schriftlichen Ausdrucks­fähigkeiten von Studierenden fördern und unter Beweis stellen. Mündliche Präsentationen in Seminaren können für den späteren Elevator-Talk vorbereiten.

Viertens: Umgang mit Scheitern

Graf Ferdinand von Zeppelin erlebte im Jahr 1908, acht Jahre nach der Jungfernfahrt des Zeppelins, den Absturz seines Luftschiffs bei Echterdingen. Er gab trotzdem nicht auf, glaubte an seine Idee, und heute gibt es immer noch Zeppeline. Der richtige Umgang mit dem Scheitern – sei es bei einer Klausur oder einer Job­be­werbung – will gelernt sein.

Meine Erfahrungen mit Waldorfschülern

An der Zeppelin Universität gibt es unter den 772 Studierenden auch mehrere Dutzend, die von Waldorfschulen zu uns gekommen sind. Bei ihnen stechen drei Wesensmerkmale hervor:

Erstens: Eine hohe Identifikation mit der Bildungsinstitution und der Philosophie der Schule oder Hochschule. Der Schüler ist in solch einem Verhältnis kein reiner Konsument, der die Institution für seine Zwecke der Bildung nutzt, sondern setzt sich mit ihr und ihrer Entwicklung aktiv auseinander. Dieses Sich-Auseinandersetzen trägt somit auch zur Identitätsbildung des Schülers bei. Viel Kritik an der Institution und den leitenden Personen bedeuten keine Abkehr des Schülers von der Schule, sondern sind Zeichen einer starken Bindung.

Zweitens: Ein hohes Maß an Eigeninitiative. Das Umfeld wird aktiv (mit-)gestaltet, neue Ideen werden entwickelt und realisiert. Der Schüler versteht sich als aktiver Gestalter seiner jeweiligen Umwelten, nicht als reiner Konsument von Gegebenheiten. Diese Haltung hält oft ein Leben lang.

Drittens: Passende Unangepasstheit als Haltung gegenüber Autoritäten. Wer sich in moderner Weise mit der Idee der Universität auseinandersetzt, konzentriert sich auf den kritischen Umgang mit Wissen und auf das Misstrauen dem Wissen gegenüber, das im Prozess zu immer neuem Wissen führt. Eine gute Mischung aus Demut vor Erwachsenen – vor allem auf Basis des Erfahrungsvorsprungs der Älteren – sowie eine selbstbewusste Haltung vor dem Hintergrund des eigenen Wissens zeichnen Waldorfschüler aus.

Tim Göbel, Vizepräsident der Zeppelin-Universität in Friedrichshafen