Die Fenster abdunkeln, den Blick auf die Wand freigeben, den Rechner einschalten und ein paar Tastenkombinationen wählen – Johan Mateo Grimsehl braucht nur wenige Handgriffe, um sein Zimmer in eine improvisierte Bühne zu verwandeln für ein besonderes Schauspiel aus Farbe und Licht. An der Wand treffen sich Rot und Blau, mischen sich Blau und Grün, legt sich Grün über Rot, ergeben sich Zwischentöne und Nuancen – und zwar auf Knopfdruck. Was der 16-Jährige da vorführt, ist Eurythmix, eine Web-App für die computergestützte Beleuchtung von Eurythmie. Die hat der Schüler der Waldorfschule Potsdam im Rahmen seiner Jahresarbeit in Klasse neun entwickelt. Seine Website kann sich über einen Adapter mit Scheinwerfern allerorten verbinden. «Dass die App über eine Website läuft, ermöglicht es, sie mit verschiedenen Betriebssystemen zu nutzen», erläutert Johan Mateo einen Vorteil seiner Entwicklung.
Für Eurythmix hat er Goethes Farbkreis auf einem DJ-Pult mit zwei Turntables hinterlegt – digital versteht sich. Das DJ-Equipment ist an einen Bildschirm angeschlossen und das Ganze kann mit jedem gewünschten Scheinwerfer gekoppelt werden. Dieser strahlt schlussendlich in den Raum, was die Benutzer:innen am Computer Scheiben drehend zusammenkombinieren. Wenn es sein muss, über große Entfernungen hinweg. Eine Eurythmie-Darbietung in Stuttgart aus dem Krankenbett nahe Potsdam zu beleuchten – mit der Web-App von Johan Mateo wäre das möglich.
Inzwischen besucht er die zehnte Klasse der Waldorfschule in Potsdam und hat im vergangenen Schuljahr an den Nachmittagen in Eigenregie geschaffen, woran sonst ganze Teams von studierten ITler:innen monatelang tüfteln. «Das klingt vielleicht komisch, aber ich bin selbst begeistert, was man schaffen kann, wenn man einfach Spaß an einer Sache hat», sagt der App-Entwickler.
Der Ausgangspunkt war die Suche nach der perfekten Synthese. «Das Programmieren ist schon seit einigen Jahren mein liebstes Hobby. Wenn es in der Schule etwas zu beleuchten gibt, bin ich oft mit dabei. Wir sind ein zehnköpfiges Team, das sich um Theaterstücke, Vorträge und Tanzveranstaltungen kümmert. Und die Eurythmie begeistert mich von Anfang an. In meiner Jahresarbeit wollte ich diese drei zusammenbringen», erzählt Johan Mateo. Die Idee zur computergestützten Eurythmiebeleuchtung lag da nahe. Insgesamt hat er rund 500 Stunden Arbeit in die App gesteckt, schätzt er. Den Entstehungsprozess haben ein Technik-Profi und eine Eurythmistin begleitet. Und zwei Tage lang hat Johan Mateo den Beleuchtern des Maxim Gorki Theaters in Berlin über die Schultern geschaut. Die meiste Zeit aber hat er zu Hause am Computer verbracht – mal in seinem Zimmer, mal auf dem Balkon. «Am Ende beschäftigt man sich beim Programmieren mit winzigen Details. Im Groben läuft alles und dann gibt es diese eine Stelle, an der es hakt. Das mag ich. Das ist suchen und forschen», beschreibt Johan Mateo seine Faszination fürs Software-Schreiben.
Damit angefangen hat er schon im Alter von zehn Jahren. «Der Beruf meines Vaters spielt da bestimmt eine Rolle», vermutet er. Denn sein Vater sei IT-Berater. An seine ersten eigenen Versuche im Programmieren erinnert Johan Mateo sich noch gut: «Das war ein Lego-Roboter. Ich wollte, dass er sich bewegen kann, also habe ich ihm das Fahren beigebracht. Erst geradeaus, dann um die Kurve.» Aber den ganzen Tag vorm Bildschirm sitzen, das ist dennoch absolut nicht sein Ding. Genauso gern ist Johan Mateo in Bewegung. Beim Segeln zum Beispiel. Das macht er einmal wöchentlich. Zusammen mit anderen Jungs in einem Verein. Die Seenlandschaft um Potsdam gibt das her. Klarinette spielt er auch. Und dann ist da ja noch die Eurythmie. In der Schule hat Johan Mateo seit einigen Monaten keine Eurythmie mehr. Ab der zehnten Klasse wird sie in Potsdam nur noch als Wahlpflichtfach angeboten und weil die Nachfrage recht groß war, ist er nicht reingekommen in die Gruppe. Manchmal fehlt sie ihm, die Eurythmie. Dann macht er ein paar Übungen für sich allein. Was er dabei erlebt, kann er ganz gut in Worte fassen und irgendwie auch nicht: «Die Eurythmie geht ganz tief in mich rein. Ich komme in einen guten Kontakt mit mir selbst dabei. Ich knüpfe Beziehung – zu mir und zur Welt. Und diese Beziehung, das ist eine ganz andere als die, die ich durch den Computer aufnehme.»
Die Frage nach den Möglichkeiten und Grenzen im Umgang mit dem Computer hat den jungen Mann auch im Rahmen seiner Jahresarbeit beschäftigt. «Ist es überhaupt vernünftig, Computer in der Eurythmie einzusetzen, die doch das Menschliche symbolisiert, einem das Tor zu sich selbst und anderen öffnet», hat er sich im Vorfeld gefragt. Noch immer kommt er zu dem Schluss, es ist vernünftig. Denn Computer seien nicht dazu da, den Menschen die Show zu stehlen, sondern ihnen zu helfen. Gerade durch ihre unmenschliche Perfektion könnten Computer nie gesehene Türen öffnen, glaubt Johan Mateo. Das hat er selbst schon mehrfach erlebt: «Beim Programmieren musst du immer alle Eventualitäten mitdenken, sonst übersiehst du etwas. Das ist ein total kreativer Prozess. Plötzlich landest du irgendwo, wo du dich nie erwartet hättest.»
Die Resonanz auf seine Jahresarbeit, so sagt er, fiel durchweg positiv aus. Eine Präsentation seiner App hat es natürlich gegeben. Eine Eurythmielehrerin der Schule rezitierte ein Gedicht, Johan Mateo gestaltete die Beleuchtung dazu. «Eine wirkliche Aufführung, bei der meine App zum Einsatz kam, gab es aber noch nicht. Das steht noch aus. Dafür muss ich aber noch an der Stabilität der App arbeiten. Die ist verbesserungswürdig», sagt Johan Mateo kritisch. Auch an anderen Aspekten seiner Erfindung möchte er noch feilen – der Gestensteuerung etwa, die mit Hilfe einer Kamera Bewegungen identifiziert und danach das Licht zur jeweiligen eurythmischen Geste in der passenden Farbe wählen kann. «Bislang habe ich eine Steuerung erarbeitet, die drei Gesten erkennen kann – Hände auf gleicher Höhe, die eine Hand über der anderen und umgekehrt. Das ist aber nur ein Anfang», sagt Johan Mateo. Den gesprochenen Text in einer eurythmischen Darbietung erkennen und in eine Farbe übersetzen zu können, ist eine weitere Vorstellung, die er gern umsetzen würde. Die Ideen gehen dem eurythmiebegeisterten Programmierer nicht aus.
Ausgabe 03/24
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