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Spracherwerb von Kindern heute

Ulrike Hans

In Bezug auf Sprache ist aktuell eine enorme Diskrepanz zwischen wissenschaftlicher Erkenntnis und dem menschlichen Sprachvermögen erkennbar. Während KI-Systeme die menschliche Sprache und Stimme mittlerweile fast perfekt nachahmen können, haben die Sprachentwicklungsstörungen bei Kindern und Jugendlichen in den letzten Jahren rasant zugenommen. Im Zehnjahresvergleich liegt die Zunahme bei den 6- bis 18-jährigen insgesamt bei 58 Prozent. Kennzeichnend für Sprachdefizite sind begrenztes Vokabular und geringer Wortschatz, Schwächen bei der Artikulation von Lauten, der Satzbildung und der Grammatik.

Bedenkt man, dass das Sprach- und Sprechvermögen eine der grundlegendsten Bedingungen für eine gesunde Entwicklung der Persönlichkeit, für eigenständiges Denken und für ein gedeihliches Sozialverhalten ist, so liegt es nahe, dass eine sprachliche Schulung in Bildungszusammenhängen unverzichtbar ist. Doch nicht nur, dass die Sprache gepflegt wird, sondern wie, ist entscheidend.

Betrachten wir sie lediglich als Mittel zum Zweck, so berauben wir sie ihrer lebendigen Quellen, beuten sie aus und zerstören sie. Denn wie die Natur ist auch das Gefüge der Sprache ein lebendiger, nicht materieller, sondern geistiger Organismus. Für Wilhelm von Humboldt ist die Sprache überhaupt eine Tätigkeit des Geistes, für Martin Buber ein Ereignis der Begegnung von Ich zu Ich.

Vor dem Hintergrund der permanent auf uns einprasselnden Gebrauchssprache und dem zunehmenden Einfluss durch Ich-entleerte Maschinensprache wird der Umgang mit Literatur und Dichtung zur wohltuenden Oase. Hier lebt die Sprache in Rhythmen, Bildern und Imaginationen. Und diese imaginativen Bilder sind es, die Raum geben für Fantasie und Identifikation. Sie sind wie ein unerschöpfliches Schatzkästchen, aus dem sich eine vom pragmatischen Alltagsgebrauch erschöpfte Sprache immer wieder neu beleben kann. Jegliche gute Dichtung knüpft an die ursprünglichen sprachschöpfenden Kräfte an, aus denen einst Laute und Worte entstanden sind.

Aus diesem Verständnis von Sprache heraus sollten Kinder und Jugendliche sich in das Gefüge der Sprache einleben dürfen. Das Projekt Projektes der Freien Hochschule Stuttgart »Zukunft Waldorfpädagogik – Bildung in digitalen Zeiten« hat in mehreren Bänden theoretische Hintergründe und praktische Beispiele zusammengetragen.

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