Der Kopf in seiner abgerundeten Form präsentiert sich als das am meisten vollendete Teil des dreigliedrigen menschlichen Körpers. Er ist beinahe eine Art Exoskelett, liegt doch alles Wirksame auf der Innenseite. Als Gegensatz dazu erscheinen die Gliedmaßen, in denen die Knochen innerhalb des Muskelgeflechts für Struktur sorgen und nur sich selbst enthalten. Zwischen diesen Extremen liegt – wie das Gefühl zwischen Denken und Wollen – der Brustbereich, nach. Er ist hinten abgeschlossen wie das Fragment einer nach vorne offenen Kugel, deren weiteren Verlauf man sich dazu denken kann wie den Vollmond im Vergleich zur Mondsichel.
Da aber nichts eigentlich getrennt ist, sondern zusammenhängt und ineinander verläuft, schaut Steiner auf den menschlichen Knochenbau aus der Perspektive der Metamorphose. Hier verlangt er seinen Zuhörern erstaunliche Vorstellungs- und Denkkraft ab, indem er – nur ansatzweise – beschreibt, wie sich im Verlauf dieser Verwandlung die Röhrenknochen der Gliedmaßen erst umstülpen und dann zum Schalenknochen des Schädels metamorphosieren. Natürlich darf man sich das nicht am Objekt, also dem physischen Knochen vorstellen. Es ist eine Art Visualisierung der Gestaltungsprozesse.
Der Waldorfpädagoge Jon McAlice gibt hierzu das folgende Bild: Auf Safari begegne ich mit meinem kundigen Führer vielerlei Tierspuren, die er mir übersetzen kann. Er kürzt das sprachlich ab: Das ist ein Büffel! Dies ist ein Gepard. Sofort habe ich das Tier in meiner Vorstellung präsent, vor mir aber habe ich nichts als seine Spuren. So ist es auch mit der Metamorphose: Lege ich die Blätter einer Pflanze nebeneinander, sorgfältig geordnet nach ihrer Position am Stängel, offenbart sich mir eine Entwicklungsreihe, und ein scheinbarer Prozess – ich sehe aber nur seine Spuren. Das eigentlich Wirksame bleibt verborgen, denn es ist immer in Bewegung. Das Leibliche, so Rudolf Steiner, können wir nur verstehen, wenn wir es als Ausdruck des Seelisch-Geistigen betrachten, als sichtbaren Verweis auf die Kraft des Unsichtbaren.
Auch beim Anschauen der einzelnen Wirbel in der menschlichen oder tierischen Wirbelsäule geht es uns so: Nach unten hin, wo die Beine uns Struktur und solide Sicherheit verschaffen, dominieren die Körper der Wirbel – am Halsende ist es ihr eleganter innerer Bogen, der dem weichen Rückenmarkskern Raum schafft. An keinem einzelnen Wirbel lässt sich das ablesen. Jeder hat etwas von seinen beiden Nachbarn, aber erst in der ganzen Reihe erleben wir die Transformation. Was wir sehen, sind nur die sichtbaren Spuren eines geistigen Prozesses, der Gestaltungskräfte der Natur.
Am Schluss des Vortrages erinnert Steiner die Teilnehmer daran, dass sie Multiplikatoren sind: Jedes Kind in ihrer Obhut wird seinerseits viele Menschen berühren, welche wiederum mit Anderen verbunden sind. »In jedem Kind liegt ein Zentrum des Makrokosmos«, sagt er, und dieser Gedanke erzeugt ein Gefühl der Bescheidenheit und zugleich der Größe: In allem, was zwischen meinen Schülern und mir geschieht, hinterlassen meine Arbeit und meine Persönlichkeit Spuren, die die heranwachsenden Menschen in die Welt tragen. So reichen meine Intentionen und Handlungen weit über meine Klasse, meine Schule hinaus, in weltweit verstreute Biografien, die mir in diesem Leben nie begegnen werden, mit denen ich mich aber durch jedes Wort und jede Tat im Klassenzimmer verbinde.