Standpunkt

Den Stecker ziehen oder die Pflicht zur Faulheit

Hans Hutzel

Bei mir schlägt dann sofort mein schlechtes Gewissen zu, weil mein Kalender tatsächlich Lücken vorweist! Offenbar tue ich noch nicht genug für die Waldorfbewegung, die Weltrettung oder andere eminent wichtige Dinge. Ich bewundere dann die Tatkraft des Gegenübers und lenke bescheiden ein, per Mail meine Ideen dazu zu schicken. Der übervolle Terminkalender, sehr gerne dramatisch öffentlich platziert und zugleich wortreich bejammert, ist ein Statussymbol.

Menschen, die sich keine Zeit nehmen für das frei umherschweifende ziel- und zügellose Denken und Wahrnehmen, bleiben auf immer gleichen Wegen verhaftet. Die anstehenden Herausforderungen werden zwar erkannt, benannt und oft beklagt, aber es finden sich keine neuen Antworten. Hektisch versuchen wir dann mit alten, eingebrannten und vielfach standardisierten Antworten auf neue Fragen zu reagieren. Mit unglaublichem Kommunikationsaufwand und Abstimmungsbedarf. Zu oft lasse ich mich in diese bewegungslose Umtriebigkeit hineinziehen, habe die Ahnung, dass diese Hektik und diese Arbeitsamkeit sich eigentlich nur im Kreis beschleunigt. Es fehlt mir der Mut, bewusst eine Unterbrechung zu wagen. Also versuche ich doch noch einen Termin – zumindest via Video – zwischen zwei anderen unterzubringen. Gegen das Gefühl der Sinnlosigkeit dieses Unterfangens, reagiere ich schlicht: mit noch einem Termin.

Dabei wäre es schlauer, einfach einmal den Stecker zu ziehen und sich etwas von der Zeit zu nehmen, die wir ohnehin nicht haben. Innehalten, von sich zurücktreten und aus dem Modus des Nichtstuns heraus entspannt einmal von oben betrachten, was wir da so umtriebig tun.

Kann die Hyperaktivität, die die Kreativität ausbrennt, vorbildhaft sein für die Schüler:innen, die wir täglich mit dieser Rastlosigkeit konfrontieren? Ich habe den Eindruck, dass die sehr gesund wittern, dass das kein anstrebenswertes Ideal ist. Die Hyperaktiven mögen engagierte Lehrer:innen sein, das schon, aber sie sind das Gegenteil eines Vorbildes. Sie sind nicht dafür geeignet, junge Leute dazu anzuregen, sich zu überlegen (Waldorf-)Lehrer:in zu werden, um etwas sinnvolles für die Gesellschaft zu leisten. Bei einem erheblichen Teil der potenziell Interessierten für den Lehrer:innen-Beruf wirken diese Perspektiven abschreckend. Sie bewundern das 24/7-Engagement, aber als Role Model taugt es für sie nicht. Um neue Antworten zu finden, braucht es Zeit und Muße und luxuriöses Umherschweifen, wie es der Philosoph Byung-Chul Han in seinem neuen Buch Vita Contemplativa beschreibt. Ich rede hier nicht das Wort für die uns bekannten Low-Performer:innen, die in jedem Team bzw. Kollegium zu finden sind und die wir mittragen und ohne Häme und Ärger aushalten sollten. (Wer weiß, welche wichtige Teamfunktion sie jeweils ausfüllen?) Ich plädiere für eine Verpflichtung, eine Pflicht zur Faulheit gerade für die so wichtig sich gebenden Hochaktiven.

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