Freiheit statt Willkür

Henning Kullak-Ublick

Der Balanceakt der Jungen auf dem Weg in ihre Zukunft ist so real wie der Balanceakt der Freiheit, die, wie der Frieden oder die Liebe, niemals gesichert ist. Was der Strom für die Jungen ist, sind zwei nicht minder gefährliche Wegelagerer für die Freiheit: Willkür und Beliebigkeit. Was die eine erzwingt, lässt die andere verwehen.

Die Waldorfschule ist das erstgeborene Kind einer Bewegung, die nach den Schrecken des Ersten Weltkriegs Freiheit für das Geistes- und Kulturleben forderte, Gleichheit in einem Rechtsstaat und eine Marktwirtschaft, die nicht auf Lohnabhängigkeit und Profitmaximierung, sondern auf der Zusammenarbeit der Menschen in ihrer Verantwortung für die Ressourcen und das Leben der Erde beruht: Brüderlichkeit. Freiheit, Demokratie und die Liebe zur Welt sind Ideen, die unsere Fähigkeit, selbstständig zu denken, mit anderen zu fühlen und verantwortlich zu handeln, zum Überleben brauchen.

Deshalb ist auch die Meinungsfreiheit ein sehr hohes und schützenswertes Gut. Meinung ist aber immer persönlich, während ein freies Geistesleben die Unabhängigkeit der Medien, der wissenschaftlichen, kulturellen und Bildungs-Einrichtungen vor politischer, ideologischer oder wirtschaftlicher Instrumentalisierung sicherstellen will. Wenn sich, wie immer öfter geschehen, Menschen bei Querdenker-Demos neben Neonazis oder Reichsbürger stellen, in sozialen Medien Verschwörungsmythen verbreiten oder sonstwelche Panikattacken öffentlich zelebrieren, tun sie das im Rahmen ihrer Meinungsfreiheit. Wenn sie sich dabei allerdings auf ihre Verbindung mit einer Waldorfschule berufen, fällt das in den Bereich der Willkür, ihrer Willkür. Und wenn sie das dann auch noch im Namen des »freien Geisteslebens« tun, wird dieser Begriff beliebig.

Dass in den letzten Monaten fast alle überregionalen Medien irgendwann »Reichsbürger, Neonazis, Esoteriker, Impfgegner und Anthroposophen« in eine Reihe gestellt haben, verdanken wir solchen im besten Fall naiven Auftritten, die keineswegs repräsentativ waren und von denen sich der Bund der Freien Waldorfschulen ausdrücklich distanziert hat – von dem meist unterirdischen journalistischen Niveau dieser Artikel einmal abgesehen.

Der Balanceakt zur Freiheit kann nur gelingen, wenn wir den Kampf mit den Wegelagerern erst einmal mit uns selbst ausmachen, statt mit dem Finger auf irgendwelche Bösewichter zu zeigen und uns dadurch auf der Seite der Guten zu wähnen.

Wilhelm-Ernst-Barkhoff sagte es so: »Die Angst vor einer Zukunft, die wir fürchten, können wir nur überwinden durch Bilder einer Zukunft, die wir wollen.« Wie die Jungs in Pakistan.