»Geh aus mein Herz …«

Eva Wörner

Auch heute noch kenne ich das sehnsüchtige Ziehen im Herzen, wenn etwas geschafft ist, ein Ziel erreicht, wenn eine Pause naht, wenn Aussicht auf Freiheit im Kopf besteht. Den Kopf frei machen, ist gar nicht so einfach. Denn da hat sich allerhand angesammelt, und das Herz ist immer dabei. In den letzten Monaten mit kaum Aussicht auf den berühmten Tapetenwechsel wurde es immer wichtiger, seinem Herzen Freud’ zu bereiten und das Positive zu entdecken, auch wenn es abgedroschen klingt. Und vor allen Dingen einen Perspektivwechsel zuzulassen, wenn auch nur auf engstem Raum. Denn schon allein den Stuhl zu tauschen, durch ein anderes Fenster zu schauen, zum anderen Ende des Raumes zu gehen, heißt, sich neue Sichtweisen zu erschließen. Das Herz erhöht unmittelbar seinen Rhythmus, der Blick weitet sich.

So ist es auch im Konfliktfall. Die Fronten sind verhärtet. Klare Positionen stehen sich gegenüber. Das Herz wird eng. Ein Konflikt bahnt sich über einen langen Zeitraum an und es ist keine Pause in Sicht, wie etwa im Alltag, wenn ein Projekt zum Abschluss kommt. Im Gegenteil, die Sicht wird immer enger. Warum kann man von einem Konflikt nicht auch mal Pause machen? Oder wie meine kleine Nichte fragt, ob der Streit mit Anton nach den Sommerferien weg ist. Ganz bestimmt, denn die beiden werden so viele unglaubliche Abenteuer erleben. Aber Konflikte unter den Erwachsenen sind nach der Sommerpause immer noch da. Vielleicht hat sich im Kopfkino etwas verfestigt oder es sind weitere Bausteine dazu gekommen, die den Konflikt sogar verschärfen. Aber vielleicht hat sich das eine oder andere Herz eben doch erholen können und eine Verschnaufpause gemacht und es entsteht ein neuer Blick auf die Sache.

Immer wieder werde ich gefragt, warum ich in Konflikte gerate, wo ich doch Mediatorin sei. Naja, weil ich auch nur ein Mensch bin, dessen Herz manchmal eng wird und der dann keine Freud’ mehr hat. Aber ich kann Ihnen versichern, dass es sich absolut lohnt, das Herz zu öffnen und einen Perspektivwechsel vorzunehmen – man muss sich nur daran erinnern. Und dafür ist die Sommerzeit perfekt geeignet.

Ich trete vor das Haus, atme tief ein und summe vor mich hin »Geh aus mein Herz und suche Freud«. Ich wünsche Ihnen Momente, in denen Sie vor das Haus treten, sprichwörtlich ohne Gepäck und mit einem Lied auf den Lippen. Wird der Kopf frei, dann öffnet sich das Herz ganz von allein. Alles Gute für die Sommerpause nah und fern und vielleicht können Sie mir bei Gelegenheit erzählen, welches Lied an Ihrer Schule den Sommerferienanfang besingt.

Eva Wörner ist Mediatorin, Dozentin und Geschäftsführerin am Lehrerseminar in Frankfurt sowie Vorstandsmitglied des Bundes der Freien Waldorfschulen.