Cornelie Unger-Leistner | Frau Stadnick, Sie sind als Touristin in das Reservat gekommen und haben dann dort insgesamt zehn Jahre gelebt. Wie war das für Sie?
Isabel Stadnick | Ich war von Kindheit an sehr fasziniert von dem Thema Indianer und habe viel darüber gelesen. Aber wenn man dann in das Reservat kommt, ist es doch etwas anderes. Da kann man sich von hier aus kein Bild machen. Oberflächlich gesehen ist es sehr trostlos, die schlechten Häuser, die Wohnwagen, keine Freizeitangebote. Da war ich zunächst ziemlich erschrocken. Erst mit der Zeit, wenn man an den Zeremonien teilnimmt und den Menschen näher kommt, versteht man die Zusammenhänge etwas besser und das, was unter dieser Oberfläche ist. Und dadurch, dass ich dann mit einem Indianer verheiratet war, bekam ich einen besseren Zugang.
CU | Hat sich das Leben im Reservat seit Ihrem ersten Besuch verändert?
IS | Es hat sich ein bisschen verbessert. Es gibt Projekte für die Jugendlichen wie Thunder Valley, das Oglala Lakota College bietet ein breiteres Angebot an Weiterbildungen, es gibt ein Motel. Ich habe wegen meines Buches viele Anfragen von Leuten, die gern ins Reservat fahren wollen, um etwas über die Lakotakultur und ihre Menschen zu erfahren.
Deswegen haben wir uns überlegt, dass es ein Gästehaus geben soll und ein Lakota-Tipi-Camp, also einen Ort der Begegnung für Besucher und Touristen. Dieser Plan wird jetzt Wirklichkeit: Diesen Sommer organisieren wir das erste zweiwöchige Camp. Wir können so neue Arbeitsplätze schaffen, denn Lakota werden unter anderem als Tourguides arbeiten und der Profit geht an die Lakota-Waldorfschule. Ein Lakota-Gästehaus folgt später, denn dazu müssen wir erst das nötige Geld aufbringen. Auf jeden Fall ist dies eine Marktlücke, die wir schließen möchten. Davon profitieren alle: die Besucher, die Wirtschaft im Reservat durch die neuen Arbeitsplätze und die Lakota-Waldorfschule.
CU | Ist die Waldorfschule nicht so etwas wie eine Importidee?
IS | Das funktioniert nicht, wenn Leute von außen kommen und da etwas bewirken wollen. Das versickert dann wieder. Es muss aus der Kultur selbst entstehen. Und das war eben bei uns ein Glück, dass es so eine Kombination war. Mein Mann kannte bereits die Waldorfpädagogik. Er war beim US-Militär, bei der Handelsmarine, und dort hat er in der Schiffsbibliothek in einem Sturm vor Vietnam ein Buch von Steiner entdeckt. Auch andere Lakota kannten die Waldorfpädagogik. Bei einem Treffen hat jemand erzählt, es gebe nur einen westlichen Philosophen, der so ein Weltbild beschreibt, wie es die Indianer auch hatten, nur noch viel detaillierter. Ich dachte, das gibt es doch nicht, da sitze ich am Ende der Welt vor einem Tipi und dann erzählt jemand von Rudolf Steiner. Und als ich zu Bob in das Erdhaus zog, wo alles ganz einfach war, stand da ein kleines Bücherregal mit einem Buch von Rudolf Steiner.
CU | Wie kamen die Lakotas auf die Waldorfpädagogik?
IS | Das Lakota Oglala College ist eine akkreditierte Hochschule. Der damalige Vize-Direktor befasste sich mit Bildung, er kannte Waldorfschulen. Seit 2010 bietet das Oglala Lakota College auch einen Kurs in Waldorfpädagogik an, ein Meilenstein. Die Lakota-Waldorfschule arbeitet eng zusammen mit der Association of Waldorfschools of North America (AWSNA) und mit der Waldorf Early Childhood Association of North America (WECAN). Zwei Lehrer der Waldorfschule von Denver, Laurie und Tom Clark, sind unsere Mentoren und begleiten und beraten uns und die Kindergartenlehrer. Das Oglala Lakota College zeigte großes Interesse an der Arbeit der Lakota-Waldorfschule und so haben wir eine Partnerschaft gebildet. Daraus entstand ein Kurs in Waldorfpädagogik, so dass es nun möglich ist, durch das Oglala Lakota College ein Waldorflehrer-Zertifikat zu erhalten.
CU | Was bedeutet Bildung für die Lakotas im Reservat?
IS | Das amerikanische Bildungssystem ist sehr kopflastig. Die Erfolgsquote in den Reservatsschulen ist nicht sehr gut, was sich unter anderem an der hohen Schülerausfallrate/ Schulabbrecherquote zeigt. Da geht es nur um intellektuelles Abspeichern. Das funktioniert nicht für die Lakota, es passt nicht zu ihrem Weltbild. Dazu passt »Learning with head, hand and heart«. Daran liegt es auch, dass sie im staatlichen Schulsystem so schlecht abschneiden. Oder zum Beispiel das Geschichtenerzählen: Das war immer ein wichtiger Bestandteil der Lakota-Kultur, das ist ja sehr wichtig für die Gehirnentwicklung, wie man heute weiß. In der Lakota-Waldorfschule legen wir großen Wert auf die Integration der Lakotasprache und -kultur. Der Unterricht soll auf Lakota gehalten werden, so wie wir es bereits im Lakota-Waldorfkindergarten tun.
CU | Kann die Lakota-Waldorfschule die Waldorfpädagogik einfach übernehmen oder muss sie angepasst werden?
IS | Das kann man nicht aufstülpen. Die Gründer haben eine Schule gesucht, die zur Kultur vor Ort passt und zu den Menschen. Waldorfpädagogik ist wie ein Gefäß, das von der jeweiligen Kultur gefüllt wird. Sie ermöglicht den Menschen zu entfalten, was sie sind.
CU | Und wie geht es jetzt weiter mit dem Aufbau der Schule?
IS | Wir führen ja jetzt schon einen Kindergarten. Dieser ist allerdings voll besetzt und die Nachfrage so groß, dass wir zwei Kindergärten eröffnen könnten. Wir hatten geplant, im Herbst 2011 die Schule mit einer ersten Klasse zu eröffnen, mussten aber nun schweren Herzens beschließen, das um ein Jahr zu verschieben. Wir sind einfach noch nicht ausreichend vorbereitet. Vor allem braucht es bedeutend mehr Geld und da stehen wir noch nicht auf sicherem Grund. Die Finanzierung muss gesichert sein, wenigstens für die nächsten paar Jahre! Wir haben Lakota-Lehrer und alle Mitarbeiter sowie der Vorstand sind Lakota-Stammesmitglieder. Ich arbeite intensiv an der Mittelbeschaffung, wir erhalten auch von US-Stiftungen Gelder. Da das Pine Ridge Indianer-Reservat eines der ärmsten Counties der USA ist, können wir keine Elternbeiträge verlangen. Seit 2008 gibt es die Lakota-Stiftung, die ich mit einigen Schweizer Freunden in der Schweiz gegründet habe. Wir haben ein Netzwerk aufgebaut und wollen es erweitern. Neben der Lakota-Stiftung in der Schweiz, gibt es Vereine in Holland und Belgien und in Deutschland kann man über die Freunde der Erziehungskunst Rudolf Steiners zugunsten der Lakota-Waldorfschule spenden. Durch das Buch und die Aufmerksamkeit für das Projekt haben wir eine erfolgreiche Zeit hinter uns. Wir müssen aber dringend weiter an der Finanzierung der Schule arbeiten – dies ist der schwierigste Teil der ganzen Aufgabe.
Links: Lakota-Stiftung: www.lakotastiftung.ch
www.lakotawaldorfschool.org/lws/school/index-de.html
Literatur: Isabel Stadnick: Wo meine Seele wohnt – Mein Leben bei den Lakota, München 2011 | Isabel Stadnick: Wana Waki – Mein Leben bei den Lakota, Gockhausen 2009