An den langen Sommertagen spielte es sich überwiegend draußen ab, während es sich in den langen, dunklen und schneebedeckten Winternächten in die Verborgenheit der geduckten, oftmals dämmerigen Häuser zurückzog. In diese Zeit fiel das Fest eines Lichtes, das noch in der tiefsten Finsternis erstrahlt und allen Menschen, ob arm oder reich, jung oder alt, stark oder schwach, traurig oder verirrt, Hoffnung verheißt. In weiten Teilen Europas wurde es mit einer Innigkeit gefeiert, die uns heute oft so fremd ist wie die bibbernde Kälte, die tiefe Dunkelheit und die feierliche Erwartung, die während der Adventszeit langsam, aber sicher näherkam. Die Geburt in der Krippe »zwischen Ochs und Esulein«, die Armut und Heimatlosigkeit der Eltern, die Offenbarung für die Hirten und die unbändige Freude der himmlischen Heerscharen berührte die Menschen immer wieder aufs Neue, in Zeiten des Krieges und der Not ebenso wie in den sehr viel selteneren Zeiten des Friedens. Denn das Kind, um das es hier geht, wohnt ja in jedem von uns.
Alle bedeutenden Religionen und Kulturen kennen das Innehalten und die Stille, die inmitten der tausend Wichtigkeiten des trubelnden Lebens Oasen schaffen, in denen wir wieder hören, was da als Wesentliches eigentlich zu uns spricht. In diesem Jahr trubelt das Leben auf eine Weise, die unsere Gesellschaft insgesamt, in besonderer Weise aber Eltern und Lehrer:innen in unserer Verantwortung für die Kinder aus den gewohnten Bahnen geworfen hat. Über fast alles, was mit dem Virus zu tun hat, herrscht Streit; der Frieden, nach dem sich alle sehnen, scheint weit, weit weg zu sein.
Aber wir sind nicht hilflos, wenn es darum geht, wie unsere Kinder die Gegenwart erleben und meistern können. Denn sie fühlen ganz genau, ob wir auch in einer so verqueren Zeit noch den Blick für das, wofür es sich zu leben und zu streben wirklich lohnt, frei haben. Staunen wir noch über die unsagbare Schönheit der Welt? Fühlen wir über unsere Zweifel, Sorgen und Ängste hinaus auch, wie es anderen geht? Zum Beispiel den Kindern in weiten Teilen Südamerikas, die schon fast das ganze Jahr und vermutlich noch lange nicht in ihre Schule gehen dürfen? Wollen wir für diese Kinder etwas tun? Einem alten oder kranken Menschen eine Freude machen? Ein Weihnachtsfest für die Tiere im Wald organisieren? Oder einfach kuscheln und zusammen eine Geschichte lesen?
Die Kinderweihnacht, an die wir uns vielleicht erinnern, gibt es da draußen nicht. Aber wir können das Hamsterrad vorübergehend zum Stillstand bringen, für unsere Kinder und das Kind in uns selbst. Innehalten, statt einfach nur durchzuhalten. Jede tiefere Empfindung, jedes Staunen, jeder schöne Gedanke, jede liebevolle Zuwendung ist eine Realität, die verbindet, statt zu trennen. Denn, mit Anaïs Nin: »Wir sehen die Dinge nicht, wie sie sind, wir sehen sie so, wie wir sind.«