Bemerkenswert sind die Gründe, die zu der Verleihung dieses Preises führten. Michael Schratz, Dekan der School of Education der Universität Innsbruck und Sprecher der Jury, nennt als entscheidende Kriterien für die Nominierung einer Schule, dass sie ein umfassendes Leistungsverständnis hat, Vielfalt als Bereicherung versteht, ein Konzept zum Umgang mit Individualität und Gemeinschaft hat, dass der Unterricht anspruchsvoll ist, die Schule ein gutes Klima und ein »anregungsreiches« Schulleben hat, in der alle Verantwortung übernehmen, dass sie gute Außenkontakte pflegt und sich als lernende Institution versteht, in der professionell an der gemeinsamen Schulentwicklung gearbeitet wird.
Jury-Mitglied Bettina Hannover, Erziehungswissenschaftlerin an der FU Berlin, erklärt, am schwierigsten sei, das Kriterium einer hohen Unterrichtsqualität zu erreichen, und fügt hinzu: »Der Grund, warum der Unterricht an der Anne-Frank-Realschule durchgängig überzeugen konnte, liegt darin, dass Unterrichtsentwicklung an dieser Schule wirklich als Gemeinschaftsaufgabe des Kollegiums verstanden wird. Ein solch intensiver Austausch zwischen den Lehrkräften ... fördert Unterrichtsqualität. Denn er führt dazu, dass man sich auf Ziele verständigt, an deren Erreichung gemeinschaftlich gearbeitet wird.«
Die Wissenschaftlerin weist hier auf ein Prinzip hin, das einmal zum Allerheiligsten der Waldorfschulen gehört hat: auf die pädagogische Konferenz, in welcher der kollegiale Austausch über die gemeinsamen Aufgaben und Ziele gepflegt wird. Auch der pädagogische Entwicklungsdialog, die »Kinderbesprechung«, eins der fruchtbarsten Instrumente, das die Waldorfschulbewegung zur Wahrnehmung und Förderung des einzelnen Kindes hervorgebracht hat, und die gemeinsame Arbeit an der pädagogischen Menschenerkenntnis haben hier ihren Ort.
Rudolf Steiner ermutigte die Lehrer, sich in dieser Konferenz von ihren Erfahrungen, Ideen und Einfällen zu erzählen, damit sie sich gegenseitig anregen, vor allem aber den Mut entwickeln würden, das pädagogisch als richtig Erkannte auch unter widrigen Umständen zu tun. Er ging sogar so weit, die gemeinsame Arbeit an der Menschenkunde als das zeitgemäße, gewissermaßen »alternativlose«, Äquivalent zu einer hierarchischen Schulleitung zu erklären.
In wenigen Jahren beginnt für die Waldorfpädagogik das zweite Jahrhundert ihres Bestehens. Nutzen wir unsere Konferenzen, um uns gegenseitig zu inspirieren und auszutauschen, uns als Einzelne und als Schulgemeinschaft wahrzunehmen und den Mut zu entwickeln, die Zukunft in die Welt zu holen. »In der Erziehung entscheidet sich, ob wir die Welt genug lieben, um die Verantwortung für sie zu übernehmen«, schrieb Hannah Arendt. Die Konferenz ist ein guter Ort, daran zu arbeiten – und erspart, wenn sie mit Leben gefüllt wird, manch eine externe Beratung.
Henning Kullak-Ublick, von 1984 – 2010 Klassenlehrer an der FWS Flensburg; Vorstand im Bund der Freien Waldorfschulen und bei den Freunden der Erziehungskunst Rudolf Steiners, Aktion mündige Schule (www.freie-schule.de). Im Frühjahr erschien sein Buch »Jedes Kind ein Könner. Fragen & Antworten zur Waldorfpädagogik«.