Ausgabe 03/24

Tausend Kilometer für eine gute Sache

Renee Herrnkind

Der Titel des Buches klingt optimistisch: «Eine Schale Getreide verändert die Welt». Und ja, dieses Buch hat auch die Welt von Lucia Höfer ein Stück weit verändert. Für die 19-jährige Abiturientin der Freien Waldorfschule Frankenthal in Rheinland-Pfalz war die Lektüre der «hoffnungsvollen Geschichte von Mary’s Meals» vom Initiator dieser Initiative, Magnus MacFarlane-Barrow, nicht nur der passende Impuls für ihre Jahresarbeit in der zwölften Klasse. Längst ist sie hochtouriger Motor für vielfältige Spendenaktionen. «Ich möchte mich gegen den Welthunger engagieren und unterstütze deshalb die Organisation Mary’s Meals», erklärt die junge Frau. Als Lucia ausrechnet, was sie schon erreicht hat, staunt sie selbst: «Ganze 31.550 Euro kamen als Spenden zusammen. Mit diesem Geld kann 1450 Kindern ein Jahr lang eine tägliche Schulspeisung ermöglicht werden.»

Die Aussicht auf eine Mahlzeit lockt Kinder in die Klassenzimmer und das Essen gibt ihnen die Energie zum Lernen. Bildung verspricht eine bessere Zukunft. So stellt Mary’s Meals, eine gemeinnützige Kinderhilforganisation, deren Vorgänger 1992 als Reaktion auf die Jugoslawienkriege in Schottland gegründet wurde, den Zusammenhang her zwischen dem gut genährten Bauch und den mit Bildung gefütterten Gehirnen. Fast zweieinhalb Millionen Kinder kann die Organisation täglich versorgen. Dazu haben nicht zuletzt die verschiedenen Spendenaktionen von Lucia beigetragen. Höhepunkt für sie war unzweifelhaft die Fahrt von der deutschen Mary’s Meals Zentrale in Mainz zum Stammsitz in Dalmally in Schottland. Dafür konnte sie Jakob begeistern, der die über tausend Kilometer im Sattel seines Drahtesels ebenso überzeugt wie Lucia bestritt. Den ehemaligen Waldorfschüler der Freien Waldorfschule Stade lernte die Mannheimerin in Taizé, beim jährlichen ökumenischen Jugendtreffen in Frankreich, kennen. Die Idee, eine Fahrradtour für einen guten Zweck zu nutzen, zündete bei ihm sofort. «Wir finden es ein wunderbares Konzept durch tägliche Schulspeisungen Kindern in den ärmsten Ländern der Welt Bildung zuteilwerden zu lassen. Dadurch eröffnet sich jedem einzelnen dieser Kinder eine völlig neue Lebensperspektive. Es ist gut, dazu beitragen zu können, für diese Generation von Kindern den Hungerkreislauf zu durchbrechen», beschreiben die beiden jungen Menschen ihre Motivation.

Von Mainz nahmen sie nach dem Start-Foto vor der deutschen Zentrale von Mary’s Meals den Flixbus nach Rotterdam. Mit der Fähre ging es nach Harwich. Bis zum Ziel, der internationalen Zentrale und dem Gründungsort in Dalmally, waren es dann gut tausend Kilometer. 14 Tage waren die beiden unterwegs, davon verbrachten sie 70 Stunden auf ihren Fahrrädern. Zwei Radtaschen, das Zelt und Schlafsäcke füllten den Gepäckträger. Ganz hinten baumelte das wichtige Hinweisschild auf die Charity-Tour für Mary’s Meals. Außer den kurzen, täglichen Fahrten zur Schule absolvierte Lucia kein spezielles Training. «Eigentlich habe ich die gepolsterte Fahrradhose gehasst, aber ohne sie wäre ich gestorben», gesteht sie. Kein Wunder, strampelten die Schülerin und ihr Begleiter doch am längsten Tour-Tag 125 Kilometer bergauf und bergab. Oft fanden sie kaum richtige Radwege, benutzten Straßen und Feldwege und waren von manchen abenteuerlichen Wegen überrascht. Doch die eindrucksvolle Landschaft an der Ostküste Englands und Schottlands war Lohn für die Anstrengung. Und im Hinterkopf wirkte der Gedanke an den ernsthaften Grund für das Abenteuer immer neu motivierend. «Das hat uns gepusht, genauso wie die ausschließlich positiven Reaktionen überall auf der Strecke.» Aufmunternde Worte, Daumen-hoch-Signale und spontane Bargeld-Spenden haben natürlich beflügelt. «Ich kann mich wirklich nicht beschweren», lacht Lucia, «es hat alles unfassbar gut geklappt. Wir hatten Glück mit dem Wetter, sind interessanten, netten, hilfsbereiten Menschen begegnet und waren uns immer einig, da war der Muskelkater nebensächlich.» Nie musste das Duo für Übernachtungen bezahlen, sie kamen bei Mary’s-Meals-Supportern unter oder fanden Schlafplätze über die Warmshower-App. Das Highlight war nach einer extrem anstrengenden und langen Etappe sogar eine kostenlose Unterbringung in einem Hotel, das sich – so fanden sie an der Rezeption durch ein Schild heraus – ebenfalls für das tägliche Essen für Schulkinder durch Mary’s Meals einsetzt. «Wenn wir langsam den Berg hochfuhren und auf den schmalen Straßen alle Autos hinter uns warten mussten, beeindruckte es mich immer wieder zutiefst, dass niemand ungeduldig wurde. Im Gegenteil, häufig wurden uns Spenden durch die Autofenster gereicht, sobald wir an die Seite fahren konnten.» Der Empfang in Dalmally und die Begegnung mit Gründer Magnus MacFarlane-Barrow haben tiefe Eindrücke bei Lucia hinterlassen. «Ich hatte ihn durch das Buch und einige Filme ja schon «gekannt» und plötzlich saßen wir zusammen an einem Tisch und haben uns unterhalten, Wahnsinn.» Zwei Tage blieben die beiden jungen Leute dort, verbrachten sogar einen Abend mit den fast gleichaltrigen Barrow-Kindern im Pub, bevor es für 28 harte Stunden im Flixbus zurück nach Frankfurt ging.

Zu den 5.450 Euro Spendenerlös dieser Radtour kommen dank Lucias Initiative das Geld vom Spendenlauf in der Frankenthaler Waldorfschule und einer Sponsored-Radtour im Herbst 2022 von Düsseldorf nach Mannheim. Auf die über 30.000 Euro kann die Schülerin durchaus stolz sein. Am wichtigsten ist Lucia, Menschen auf die dramatische Situation des Welthungers aufmerksam zu machen und zum Handeln anzuregen. «Unsere Schule hat nun – angeregt durch den Spendenlauf, bei dem 15.000 Euro zusammenkamen – zum Beispiel eine Schulpatenschaft in Sambia.» Bei so viel Rückenwind ist es wohl kein Wunder, dass neben dem Abi-Stress Pläne reifen für einen Spendenlauf für Mary’s Meals in Mannheim. Dafür konnte Lucia bereits viele Freund:innen gewinnen – und nächsten Sommer soll er dann «laufen». Was danach kommt? «Ich mache erstmal ein soziales Jahr – wahrscheinlich in Schottland, weil es dort so schön ist. Aber work and travel steht auch noch an.»

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