Liebe Leserin, lieber Leser!
Raffael hat Geburtstag und wünscht sich ein Boot mit Fernsteuerung. Sein Freund hat auch eins und sie wollen gemeinsam die Gewässer der Umgebung befahren. Sein Wunsch wird erfüllt, doch die Erfüllung hält nicht lange: Zuerst zog das elektronische Relais Wasser – Tauchversuch als U-Boot – und dann die Fernsteuerung, als sie ins Wasser fiel. Ich sehe noch, wie seine Finger hektisch den An- und Ausschalter betätigen und die Hebel der Fernsteuerung fast abbrechen, als wolle er dem unwilligen Deus ex machina Beine machen. Jetzt liegt das Boot unbrauchbar in der Ecke.
Maschinen können nur das leisten, was intelligente Ingenieure, Konstrukteure, Techniker und Programmierer in ihre Abgründe »hineingeheimnisst« haben und was wir genauso und nicht anders herausholen müssen. Wir führen als Nutzer deren verborgenen Willen aus. Nicht mehr, nicht weniger.
Gleich, ob es sich um das mechanische Maschinenmonstrum in »Modern Times« aus dem Jahre 1936 oder um die Computerchips eines neuesten iPad von 2012 handelt: Technik hat Takt: aus – an – aus – an – aus – an … Das Tempo der »Arbeitsschritte«, das sich in rasende Unvorstellbarkeit gesteigert hat, suggeriert dem Nutzer jedoch interaktive Beweglichkeit in Echtzeit und liefert phantastische Surrogate des Lebens.
Phantasie ist das Gegenteil. Sie taktet nicht, ist (innere) Bewegung pur. Phantasiebegabt ist nur der Mensch. Seine Phantasie verbindet das Mögliche mit dem Unmöglichen, verändert, schafft genuin Neues, belebt. Phantasie fühlt, Technik nicht. Technik ist menschengemacht, Phantasie ein Göttergeschenk.
Nach einigen Wochen wird das Boot wiederentdeckt. Raffael verschwindet für ein paar Stunden in seinem Zimmer und das Gefährt wird das Opfer der Phantasie seines Besitzers. Die Fernsteuerung liegt inzwischen nur noch als Chassis vor. Das Boot hat seither mehrfache Umbauten erlebt, es wurde mit Sperrholz aufgestockt, genagelt, beklebt, abgeschliffen und mit neuem Farbanstrich versehen – wechselnd, je nach Einsatz. »Es funktioniert jetzt besser«, meint er. Technik und Phantasie haben sich versöhnt.
Aus der Redaktion grüßt
Mathias Maurer