Das kleine Kind tritt mit einem enormen Vertrauensvorschuss an – Urvertrauen genannt –, und es ist beschämend, wie lange dieser Vorschuss anhält und die Liebe und das Vertrauen des Kindes zu Mensch und Welt allen Widrigkeiten, Verletzungen, Schutzlosigkeiten und Missverständnissen zum Trotz Bestand hat.
Doch wir wissen: Vertrauen kann brechen und gebrochen werden durch schiere Macht, Unterdrückung und Gewalt. Wir sprechen dann sowohl vom Verlust des Selbstvertrauens, als auch vom Verlust des Gottvertrauens.
Um uns nicht mehr angreifbar zu machen, greifen wir zu Schutzmaßnahmen. Eine davon ist Kontrolle. Das gilt nicht nur auf der individuellen, sondern auch auf der gesellschaftlichen Ebene. Eine Tyrannis, so Aristoteles, kann nur auf dem Boden des Misstrauens gedeihen. Eine Redewendung, die man Lenin nachsagt, scheint diese Einsicht zu bestätigen: »Vertrauen ist gut, Kontrolle ist besser« – also misstraue, kann ergänzt werden. Heutzutage wird wesentlich geräuschloser kontrolliert: über das Internet, Überwachungskameras inkl. Gesichtserkennung, politische Meldestellen, die dem Denunziantentum Tür und Tor zu öffnen.
Kontrolle ist zwar aufwendig, soll uns aber in allen öffentlichen und privaten Bereichen schützen; dadurch soll menschliches Handeln kalkulierbar sein. Doch unbemerkt kontrollieren uns Normen, Strukturen, Sachzwänge, ohne dass wir uns noch an ihren menschengemachten Ursprung erinnern, also das Vertrauen in die Gestaltbarkeit menschlicher Verhältnisse verloren haben. Wir hemmen unser Entwicklungspotenzial, wenn wir der Kraft des Vertrauens nicht mehr vertrauen können. Stattdessen gehen wir in toto so weit, dass wir die allgegenwärtigen brennenden Probleme, zukünftigen Generationen überlassen, als selbst sofort die Verantwortung für den Ist-Zustand zu übernehmen und etwas zu ändern. Stattdessen vertrauen wir lieber der Kontrolle.
Doch Vertrauen ist eine geistige-seelische Kraft, kein Kalkül. Um eine Zukunft für und mit unseren Kindern gestalten zu können, müssen wir selbst Vertrauensvorschuss leisten. Mit »gegenseitigen vertrauensbildenden Maßnahmen« – so du mir, so ich dir – kommen wir nicht weiter. Heute ist die Vertrauensfrage eine individuelle Willensfrage. Nur im Vertrauen entfalten wir innovative, kreative und bewegliche Handlungsoptionen, eröffnen sich neue Entwicklungsperspektiven. Wir müssen uns wieder dazu ermutigen, ohne Gegenleistungserwartungen, Vertrauen zu schenken in das Entwicklungspotenzial jedes einzelnen Menschen. Dieses Vertrauen versetzt Berge. Das zeigt uns die Gabe der Kinder, je kleiner, desto eindrucksvoller.