Weihnachten, Ostern, Johanni und Michaeli – für alle diese christlichen Feste gilt, dass sie in zeitlicher Nähe eines astronomischen Ereignisses liegen, nämlich eines besonderen Verhältnisses der Sonne zur Erde im Jahreslauf. Damit ist der Bezug zur Natur klar gegeben. Zugleich stellt die zeitliche Verschiebung um einige Tage sie ein wenig außerhalb der Naturgesetze. Weihnachten liegt drei Tage nach der Wintersonnenwende, Ostern als das beweglichste Jahreszeitenfest, liegt mit wochenweiten Abweichungen näher oder ferner an der Frühlingstagundnachtgleiche, Johanni folgt der Sommersonnenwende mit drei Tagen Verzug und Michaeli sechs Tage auf das Herbstäquinoktium. Die Feste sind nie vor dem astronomischen Ereignis platziert, sondern immer schon ein Stück weit in der neuen Jahreszeit zu finden. Die Bilder, die mit ihnen in Zusammenhang stehen, haben sowohl einen aus der Natur geschöpften Gehalt, als auch einen seelischen. Sie sind dadurch geeignet, eine Brücke vom Menschen zur Natur zu schlagen und die Natur als Schöpfung zu erfahren. Dies ist ein Aspekt, der in der Erziehung, der Seelenbildung junger Menschen, einen hohen Stellenwert haben muss.
Beginnen wir mit Weihnachten. In der dunkelsten Jahreszeit, aber dann, wenn die Tagbögen der Sonne schon wieder unbemerkt zunehmen, in der Jahreszeit, in der die Absterbeprozesse der Natur vorherrschen, liegt die Geburt des Jesuskindes. Es sind die Kindheitskräfte an sich, die mit diesem Fest verehrt werden. Sie treten mit der Christgeburt urbildhaft in die Welt und sind ihr schutzlos ausgeliefert. Die Welt gibt ihnen nur mit Mühe Herberge, abgeschoben in einem Stall, ausgegrenzt aus dem menschlichen Zusammenleben, zwischen Tieren und in völliger Armut, verkannt von den meisten, nur von den Hirten, denen es obliegt, das Gottgeschenkte zu bewahren, wird die Ankunft dieser Kräfte auf der Erde erkannt und ihr Repräsentant aufgesucht.
Die abendländische Kunst hat das Ereignis in unzähligen Bildern nach der Weihnachtsgeschichte des Lukas-Evangeliums festgehalten. Das Kind ist nackt, die junge Mutter blickt es mit tiefer Liebe an. Das Band der Liebe zwischen der Mutter und dem schutzlosen Kind ist das zentrale Motiv dieser Bilder. Etwas Leichtes, die Stimmung einer Pastorale, umschwebt die Bilder.
Aber es gibt ein zweites Weihnachtsereignis, das gewichtig neben dem ersten steht: die Anbetung der Könige. Die Quelle für diese Bilder ist das Matthäus-Evangelium. Die Priesterkönige repräsentieren Weisheit und Macht der Welt. Sie neigen ihr Haupt vor dem Kind und damit vor den Kindheitskräften. Sie lassen sich mit Macht und Weisheit nicht fassen; die irdische Weisheit versteht sie nicht; die Macht der Könige kann sie zwar vernichten – das macht Herodes im Kindermord zu Bethlehem – aber erwecken und zur Entfaltung bringen kann man sie mit irdischer Macht nicht. Die Liebe ist die einzige Kraft oder Macht, die sie aufblühen lässt.
Kindheitskräfte sind nicht von dieser Welt, sie unterliegen nicht den irdischen Gesetzen, sie sind zart und verletzlich, aber sie tragen alles Zukünftige, alles neue Leben als Keim in sich.
Ostern ist die Zeit des sich entfaltenden natürlichen Lebens. Aus der erstorbenen Natur wird das neue Leben. Bilder der Fruchtbarkeit und der Keimzelle (Ei) als Beginn des Lebens kommen aus dem Zusammenhang mit der Natur. Zugleich vollzieht sich ein anderes Stirb-und-Werde für die Menschheit urbildhaft an Ostern durch Tod und Auferstehung Christi. Ziemlich weit aus den natürlichen Zusammenhängen herausgehoben ist das Datum dieses Festes: Der Sonntag nach dem ersten Vollmond nach der Frühlingstagundnachtgleiche ist Ostern. Das kann Ende März, aber auch Ende April sein. Ostern enthält zwei seelische Bilder: die Kreuzigung und die Auferstehung. Nur in ihrer Verknüpfung ergeben sie einen Sinn. Wer in der Karfreitagstrauer stehen bleibt, hat Ostern genauso wenig verstanden, wie derjenige, der den Tod am Kreuz nicht zulässt. Die Überwindung des Todes heißt ja nicht, dass er nicht eintritt, sondern dass er keine existenzvernichtende Kraft ist, sondern eine lebenswandelnde. Der Mensch erschöpft sich nicht in seiner materiellen Existenz, sondern ist zugleich ein seelisch-geistiges Wesen, mit dem sich diese Wandlung vollzieht. Alle Bilder, die dieses Stirb-und-Werde zum Inhalt haben, bilden auch einen Aspekt von Ostern ab.
Am 21. Juni findet die Sommersonnenwende statt. Der höchste (nördlichste) Stand der Sonne ist erreicht. Es ist die Zeit der größten Helligkeit im Jahr. Die Natur kommt durch Lichtfülle und Wärme zu ihrer größten Entfaltung. Am 24. Juni feiert das Kirchenjahr die Geburt Johannes des Täufers. Mit ihm verbindet man das Bild des strengen Asketen, des Mahners, der das Ende der alten Zeit benennt und auf den Neuen, der ihm folgen wird, deutet. Johannes zeigt die Grenzen des Alten, Gewordenen auf und mahnt zur Umkehr und Katharsis. Das Alte hat sich in Vollkommenheit und Vollständigkeit entfaltet und ist zu seinem Ende gekommen. Würde es weiter existieren, wäre es eine tote oder überlebte Form. Im Johannifeuer findet man dafür ein schönes Abbild. Goethe fasst einen Aspekt dieses Bildes in Worte:
«Denn was das Feuer lebendig erfasst, Bleibt nicht mehr Unform und Erdenlast. Verflüchtigt wird es und unsichtbar, Eilt hinauf, wo erst sein Anfang war.»
An den Erzengel Michael denken wir am 29. September, wenn das Sonnenjahr seinen Gleichgewichtspunkt zwischen Tag und Nacht schon um eine Woche überschritten hat und die Tagbögen kleiner werden. Das Leben schwindet langsam aus der Natur. Michael hatte im Reigen der Erzengel eine herausragende Stellung. Besondere Kult- und Kontemplationsstätten waren ihm geweiht. Sie lagen abseits, oft schwer zu erreichen, auf Bergen. Zu ihnen zählen Mont-Saint-Michel in Frankreich, St. Micheal’s Mount in Cornwall, Skellig Michael im Südwesten Irlands oder Sacra di San Michele westlich von Turin. Diese Signatur des Michaelischen, das Zurückgezogene, schwer zu Erreichende und erhöht Liegende, gehört zum Bild. Ferner prägen wieder zwei große seelische Bilder die Michaelszeit. Das erste ist der Erzengel mit der Waage und das zweite der Kämpfer in der Ritterrüstung, der den Drachen mit dem Schwert besiegt. Die Auseinandersetzung mit dem Bösen, mit den Kräften der Finsternis, steht im Zentrum dieses Festes und korreliert mit dem Naturereignis des schwindenden Lichtes, der aufkommenden Dunkelheit und Kälte.
Nun muss man, wenn man die Jahresfeste global denkt, immer die Antipoden mitdenken. Das führt dazu, dass wir an Michaeli die aufsteigenden Lebenskräfte der Osterzeit, der polaren Äquinoktialzeit, fein mitschwingen lassen – genauso, wie wir bei der Betrachtung des Drachenkampfes als seelischen Ereignisses das Stirb-und-Werde von Kreuzigung und Auferstehung empfinden. Die zweite Achse des Jahresfestkreuzes bilden Johanni und Weihnachten. Wenn wir die vollständige Ausbreitung der Natur in Licht und Wärme an Johanni feiern, gehört eine feine untergründige Weihnachtsahnung dazu, damit wir das Fest in seiner Vollständigkeit erleben. Dann tritt das Bild der Kindheitskräfte, des Keimhaften und Zukünftigen mit hinzu. An Weihnachten dann, steht das Geburtsereignis im Vordergrund, hat aber seine komplementäre Stimmungsfarbe durch das Johannifest.
Je jünger die Kinder sind, desto mehr muss sich ein Festeszeitenbild auch äußerlich und in einem zeitlichen Prozess abbilden. Man muss auf das Fest zuleben, es vorbereiten. Die Vorfreude auf das Ereignis ist wesentlich. Feste sind nie nur Zeitpunkte, sondern immer Zeiträume. In der Adventszeit lebt in unserer agnostischen und areligiösen Epoche noch am ehesten ein Rest eines Verständnisses für diese Tatsache. Wichtig ist immer auch die Authentizität: Wenn sich beispielsweise Weihnachten im Geschenkeverteilen, üppigen Essen und noch reichlicherem Trinken erschöpft und keinen Bezug zur Christgeburt mehr hat, muss man sich fragen, ob man es nicht lieber sein lässt. Auch nur eine leichte, kaum bemerkbare, latente Unehrlichkeit mit religiösen Inhalten kann schädlich wirken. Vor allem Jugendliche haben dafür ein feines Sensorium. Für Jugendliche tritt übrigens die Bedeutung des äußeren Bildes ein wenig in den Hintergrund. Ein Motiv in einer Biografie, die Geste eines Politikers, zum Beispiel Willy Brandts Kniefall am Warschauer Ghetto am 7. Dezember 1970, in Zusammenhang gebracht mit einem Festestag, hier mit Weihnachten, eine Friedensbotschaft tragend, kann mehr bewirken, als das Abspulen von innerlich nicht mehr ganz gegriffenen Festestraditionen.
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