Neben den Kultusministerien und Parlamenten der ostdeutschen Bundesländer waren zahlreiche Juristen sowie auffallend viele Vertreter der Deutschen Kredit Bank anwesend. Die fast zweihundert Teilnehmer aus Politik und Wissenschaft sowie aus Schulen in freier Trägerschaft konnten sich mit den kontroversen Positionen führender Experten zum Recht der freien Schulen auseinandersetzen. Den Veranstaltern war es gelungen, alles, was auf diesem Gebiet Rang und Namen hat, mit ihren gegensätzlichen Positionen auf dem Podium zu versammeln: Manfred Weiß vom Deutschen Institut für Internationale Pädagogische Forschung (DIPF) und Helmut Klein (Institut der Deutschen Wirtschaft Köln, IW), Hermann Avenarius (DIPF) und Bodo Pieroth (Universität Münster), Heiner Barz (Universität Düsseldorf), Eva Maria Stange (MdL SPD Sachsen) sowie Werner Neumann (Richter am Bundesverwaltungsgericht Leipzig).
Nachdem Schulkosten-Gutachten des Steinbeis-Transferzentrums nun auch für Rheinland-Pfalz und das Saarland vorliegen, besteht zum ersten Mal ein Überblick über die Schul-Vollkosten aller Bundesländer. Darauf wies Professor Dirk Randoll (SAGST) in seiner Eröffnung hin. Die Software AG Stiftung habe mit insgesamt 1,2 Millionen Euro dieses Gutachten ermöglicht: Da die Daten alle mit derselben Methode erhoben wurden, erleichtern sie einen Vergleich der Schulausgaben in den verschiedenen Bundesländern.
Finanzhilfe intransparent
Die Lage der Schulen in freier Trägerschaft habe sich 2012 weiter verschlechtert, erklärte Thomas Langer, Leiter des IfBB. Viele freie Schulen seien unterfinanziert, ihr Ausbau sei unerwünscht und werde behindert. »Die Finanzierung des allgemeinbildenden Schulwesens ist nur scheinbar transparent«, konstatierte auch Barz. Dass die Vergleichsdaten des Bundesamtes für Statistik auf den Angaben der Kultusministerien beruhen und von diesen recht unterschiedlich erfasst werden, musste auch Weiß zugestehen. »Die amtliche Statistik unterschätzt die Schulkosten systematisch«, stellte Barz fest. Um eine bessere Berechnung der Staatsausgaben zu erreichen, böten sich die Finanzministerien als Verbündete an, schlug Barz den freien Schulträgern vor.
Im Vergleich der OECD sind die Bildungsausgaben Deutschlands mit 8,3 Milliarden Euro bisher nur unterdurchschnittlich. Eine Berechnung der bisher nicht erfassten Pensionen und die Bewertung der Immobilien könnte das steigern. Real lägen die Schulkosten dann über 14 Milliarden. Dadurch ergäbe sich eine bessere internationale Platzierung und die Finanzhilfen für freie Träger müssten erhöht werden.
Sparpotenzial oder Konkurrenz
Die Untererfassung der staatlichen Schulkosten beziffert Klein mit 20 Milliarden Euro pro Jahr. In Deutschland spare die öffentliche Hand dadurch jährlich 2,4 Milliarden Euro bei den allgemeinbildenden Schulen in freier Trägerschaft, deren Bezuschussung sich nach zu niedrigen Zahlen richte.
In Zeiten abnehmender Schülerzahlen werden die Schulen in freier Trägerschaft jedoch weniger als Sparpotenzial, denn als bedrohliche Konkurrenz wahrgenommen.
Stange verwies auf eine Sonderabsprache der ostdeutschen Kultusminister, mit der sie die Zunahme der Schulen in freier Trägerschaft in den ostdeutschen Bundesländern bremsen wollen. So wird in Sachsen die Finanzhilfe bereits seit 2011 um jährlich 5 Prozent gekürzt, die Zuschusshöhe wurde an die Mindestschülerzahlen staatlicher Schulen gekoppelt und die Wartefrist bei Neugründungen auf vier Jahre erhöht.
Pieroth hält solche Absprachen für eine verfassungswidrige Einschränkung der Grundrechte. Der Staat müsse auch Konkurrenz gegen sich selbst garantieren. Nach der Verfassung seien staatliche und freie Schulträger gleichberechtigt. Das jedoch blieb unter den Experten strittig. Avenarius geht von einem Primat des öffentlichen Schulwesens aus. Bevor es in einer staatlichen Schule bei Schülerrückgang zu Klassen- und Schulschließungen komme, müssten konkurrierende Privatschulen geschlossen werden.
Lückenfüller
Detlef Hardorp (Arbeitsgemeinschaft freier Schulen in Brandenburg) erinnerte daran, dass freie Schulträger bereits staatliche Aufgaben übernähmen, wo es kein staatliches Angebot mehr gäbe, vor allem im Bereich der Förderschulen und bei berufsbildenden Angeboten. Wenn freie Träger als »Lückenfüller« fungierten, müssten sie auch die vollen Schulkosten erstattet bekommen. Die Berliner FDP propagiere daher schon länger eine »Bürgerschule«, die durch Bildungsgutscheine für alle voll finanziert werden soll und so für alle Bürger zugänglich sei. Die daran geknüpfte Bedingung, bei einer Vollfinanzierung auf die Auswahl der Schüler zu verzichten und den staatlichen Lehrplan zu übernehmen, werteten die Juristen allerdings als einen Eingriff in die Gestaltungsfreiheit der freien Schulen und damit als verfassungswidrig.
Sind freie Schulen besser?
Während Konsens darin bestand, dass die Leistungen der freien Schulen mindestens gleichwertig sein müssen, wurde die Frage, was Gleichwertigkeit bedeute, kontrovers diskutiert. Barz erinnerte an die Reformimpulse, die von den freien Schulen ausgegangen seien. Durch den Wettbewerb würden alle Schulen besser: »Staatsmonopolismus ist keine Option!« Bei Vergleichstests seien Schüler von Privatschulen meist besser, auf jeden Fall sei die Zufriedenheit von Schülern und Eltern mit der Schule höher. Weiß hielt dagegen, dass durch Dezentralisierung nichts besser werde. Bessere Schulleistungen von Schülern freier Träger seien auf die größere Handlungsfreiheit und das bessere Lernklima zurückzuführen: »Die Schulform ist entscheidend, nicht der Träger.« Die besseren Leistungen freier Schulen bei PISA seien ein »selektionsbedingter Effekt einer leistungsfähigeren Population«. Bei Berücksichtigung der sozialen Indikatoren zeige sich sogar ein Leistungsnachteil der freien Schulen.
Demgegenüber verwies Klein darauf, dass die freien Schulen mit weniger Geld effizienter arbeiteten und zumindest nicht schlechter seien: Der Anteil der Abiturienten ist größer. Obwohl Schulen in freier Trägerschaft einen höheren Anteil von Förderschülern (10,2 Prozent, Staat 3,9 Prozent) haben, ist die Quote der Schulabgänger ohne Abschluss gleich (10 Prozent). Kleins Schlussfolgerung: »Dem deutschen Schulsystem mangelt es an Effektivität«. Im staatlichen Schulsystem gebe es viele Effektivitätspotenziale, die nicht genutzt würden.
Vollkaskoversicherung mit Selbstbeteiligung
In welcher Höhe Schulgeld und Eigenleistungen der Eltern zumutbar sind, bleibt weiter offen. Die Fortschritte, die durch das Urteil des VGH Baden-Württemberg 2010 erzielt worden sind, das 70 Euro als zumutbaren Grenzwert festlegte, wurden durch das Leipziger Urteil des Bundesverwaltungsgerichts vom Dezember 2011 wieder aufgehoben: Die Erhebungen zur sozialen Zumutbarkeit seien zu unsicher, die Möglichkeit, Elternbeiträge zu staffeln, sei nicht untersucht worden. Pieroth zog das Fazit: »Die staatliche Finanzhilfe für Schulen in freier Trägerschaft ähnelt einer Vollkaskoversicherung mit Selbstbeteiligung. Über die exakte Höhe der Selbstbeteiligung darf weiter gestritten werden.«