Der Tisch wird immer voller. Erich Kunderer holt aus Regalen Musikinstrumente, Bürsten, ein Wasserglas mit kleinen Fischen, Spiele, Figuren, Pfeil und Bogen. Alles aus Holz und jedes einzelne Teil ein Grund, wieso er sich in der Waldorfschule in Windhuk wohlfühlt. Dies und vieles mehr hat der 61-Jährige zusammen mit seinen Schülern hergestellt. Er betont: »Die Kinder sind sehr herzlich und dankbar, das erlebt man in Europa in dieser Intensität nicht mehr.«
Dabei haben es die Schüler nicht leicht: Einige müssen schon morgens um 4 Uhr aufstehen und gehen bei Dunkelheit aus dem Haus. Um 7 Uhr beginnt der Unterricht in Klassen mit jeweils rund 20 Schülern, und zwar in Deutsch als Unterrichtssprache der Unterstufe. Die Sprache beherrschen die Erstklässler nicht, sie müssen sie erst lernen. Kunderer erklärt: »Viele Eltern schätzen die Stellung Deutschlands in der Welt. Sie wissen, dass hier in unserer Waldorfschule die Lehrer pünktlich sind, fleißig arbeiten, sich sehr um die Schüler kümmern und ihnen einiges abverlangen.« Stolz ergänzt er: »Vor drei Jahren war der Erziehungsminister bei uns und hat gesagt: ›Genau das braucht Namibia.‹ Wir sind nämlich eine der wenigen Schulen, die auch auf praktische und kulturelle Bereiche schaut.« Der Badener unterrichtet mehrere Fächer und macht mit den Schülern auch Musik.
Die Elternschaft sei sehr interessiert, vor allem bei praktischen Dingen würden sich viele engagieren. Andererseits wird in Namibia weniger ehrenamtlich gearbeitet als in Deutschland üblich. Bei der Mitarbeit von Schülern müsse man vorsichtig sein, aus historischen Gründen wird da schnell von Kinderarbeit gesprochen. Bei Hausbesuchen erlebt Kunderer nicht oft das Ideal einer geschützten Kindheit: Viel Zeit wird vor dem Fernseher vertrödelt und der Lärm aus den benachbarten Shabeens (Kneipen) hallt laut durch die dünnen Wände der Blechhütten – Alkoholkonsum ist ein großes Problem. Und einige Kinder haben gar keine Eltern – so wie Elisha (13), die bei ihren zwei Schwestern lebt. Der Vater hatte die Familie früh verlassen, ihre Mutter starb an einer schweren Krankheit und hatte Kunderer darum gebeten, dass er sich um ihre jüngste Tochter kümmert. Wie Elisha haben viele Kinder daheim nicht viel Halt, umso wichtiger ist die Schule.
Erich Kunderer wuchs in Renchen-Ulm (südlich von Karlsruhe) auf, ging nach Achern aufs Gymnasium und war in seinem ersten Berufsleben Straßenbaumeister. Dann kamen die Heirat und vier Söhne. »Ich wollte wissen, welche Schule passt«, erzählt Kunderer. Er hat sich in einem Kurs mit der Waldorf-Pädagogik beschäftigt und sich schließlich dazu entschlossen, Lehrer zu werden: »Als Meister habe ich eine pädagogische Ausbildung, die wird in Baden-Württemberg anerkannt.« Mit 40 wurde er Waldorflehrer in Offenburg.
In der »Erziehungskunst« las er, dass in Windhuk ein Waldorflehrer gesucht wird – Kunderer bewarb sich, obwohl er sich für Afrika nie besonders interessiert hat. Das habe es ihm sogar leichter gemacht, denn er kam unbefangen, sagt er. Seinen neuen Wohnort habe er gleich als Heimat empfunden, jetzt möchte er nicht mehr aus Windhuk fortziehen. Nach Deutschland kommt er einmal im Jahr und besucht seine 94-jährige Mutter. »Den Flug kann ich mir leisten, weil mich Freunde unterstützen«, sagt er. Zu dem großen Umbruch in seinem Leben meint er: »Das Schicksal nimmt einem nur etwas weg, wenn es etwas Besseres bereithält.«
Rund 300 Schüler besuchen die im Jahr 2000 gegründete Waldorfschule in Windhuk, etwa 30 wohnen auf dem Gelände. Dort gibt es auch einen Kindergarten und derzeit wird ein Zentrum für Kunst und Handwerk gebaut. Die meisten Schüler sind farbig, Kinder wohlhabender weißer Bürger besuchen meist andere, teure Privatschulen. Vor der Aufnahme in die Waldorfschule müssen die Kinder ihre Schulreife bei einer Prüfung nachweisen, das Einkommen der Eltern spielt dagegen eine untergeordnete Rolle. Viele der farbigen Kinder können kein Schulgeld bezahlen, denn sie kommen aus den Townships am Stadtrand.
Erich Kunderer vermittelt Schüler für Patenschaften, Kontakt per E-Mail: erichkunderer@gmail.com. Die Schule wird im Wesentlichen über Spenden aus Europa finanziert und vom Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (BMZ) unterstützt.
Zum Autor: Roland Schmellenkamp ist als Journalist unter anderem in der Lokalberichterstattung in Offenburg und der Ortenau sowie für die Ressorts Wirtschaft, Kultur und Reise tätig. Außerdem schreibt er Artikel und Bücher rund ums Thema Fahrrad, insbesondere Radreiseführer.