Kurz: Helfen wir ihnen, sich uneingeschränkt mit der mechanisch-dinglichen Welt zu identifizieren und sich einem materiellen Dasein zu verschreiben, das alles, was man früher einmal als seelische Wirksamkeit oder geistige Wirklichkeit verstand, in dem Nebel wissenschaftlich längst widerlegter, rein subjektiver Mystik verortet?
Die fundamentalste Kritik, die im Jubiläumsjahr 2019 gegenüber der Waldorfpädagogik vorgetragen wurde, war, dass ihrer Pädagogik ein »esoterisches« Menschenverständnis zugrunde liege – ein Ausdruck zwar, der angesichts seines inflationären Gebrauchs keinen besonderen Erkenntniswert hat, der aber dennoch den Kern trifft, denn in der Tat: Die Waldorfpädagogik basiert auf einem Menschenverständnis, welches den Menschen gleichermaßen als verwandt mit der Natur und ihren Bewohnern sieht wie als Teilnehmer einer geistigen Wirklichkeit, in der seine unverwechselbare Individualität, sein Wesenskern, gegründet ist. Die anthroposophische Pädagogik untersucht so genau wie nur möglich die Wechselwirkungen der natürlichen und geistigen Wirksamkeiten unseres Daseins, die sich im seelischen Leben von uns Menschen begegnen, indem wir denkend erkennen, fühlend erleben und handelnd in die Welt eingreifen.
Waldorfpädagogik rechnet mit der Entwicklungsfähigkeit jedes einzelnen Menschen, einer Entwicklung, die sich nicht alleine aus Erfahrungen der Vergangenheit – dem Gewordenen – ergibt, sondern im Laufe der Kindheit, der Jugend und der weiteren Biografie immer bewusster das Noch-nicht-Fertige, das Werdende zu erfassen lernt. Joseph Beuys brachte das, wie so vieles, auf den Punkt: »Die Ursachen liegen in der Zukunft.« Und diese Zukunft sind wir selbst.
Es ist ein Paradoxon unserer Zeit, dass wir eine Maschinenwelt erfunden haben, deren Ergebnissen wir inzwischen oft mehr vertrauen als den Erkenntniskräften, mittels derer wir sie überhaupt erfinden konnten. Wir schließen von ihr auf uns selbst zurück und übersehen dabei, dass ihre Zauberei gerade darauf basiert, dass sie nur einen winzigen Ausschnitt unseres geistigen und seelischen Potenzials beherrscht, diesen allerdings mit atemberaubender Geschwindigkeit.
Maschinen sind wunderbare Helfer, solange wir sie programmieren und nicht umgekehrt. Dazu müssen wir allerdings lernen, unser Denken so lebendig werden zu lassen, dass es das Werdende in der Natur und in uns erkennt, unser Fühlen so zu sensibilisieren, dass es nicht nur unsere animalischen Bedürfnisse wahrnimmt, sondern mit dem Weltgeschehen atmen kann und schließlich unser Wollen so zu erhellen, dass es tut, was die Welt wirklich braucht.