Nach neun vollen Programmtagen verabschiedeten Elftklässler der Rudolf-Steiner-Schule Nordheide ihre Gäste aus den zwei elften Klassen der Waldorfschule Harduf, Israel, tränenreich.
Vom 25. September bis zum 4. Oktober 2009 absolvierten 42 Schüler und vier Kollegen ein Programm, das dem intensiven Kennenlernen des Anderen dienen sollte. Neben drei künstlerischen Workshops gab es Ausflüge in die umgebende Natur, nach Berlin und Hamburg sowie viele Möglichkeiten, miteinander ins Gespräch zu kommen. Unterstützt wurde das Projekt vom Pädagogischen Austauschdienst der KMK.
Welche Absichten verfolgt das Austausch-Projekt der Rudolf-Steiner-Schule Nordheide? In einer Welt, die immer mehr durch Medien und Internet den Charakter eines Globalen Dorfs annimmt, ist es von entscheidender Bedeutung, dass Jugendliche in direkten Kontakt mit Menschen aus anderen Kulturen kommen. Aus der tatsächlichen Wahrnehmung und Begegnung können Erfahrungen entstehen, die zu einem eigenständigen Weltbild führen. Die Zeit des Faschismus und der Massenmord an den Juden sind Ereignisse, die junge Deutsche über ihre eigene nationale Vergangenheit erschrecken lassen. Fassungslos sind sie mit »ihrer« Geschichte konfrontiert.
Konfrontiert sind sie auch mit der Sicht, die andere Völker auf Deutschland haben. Wie beschreiben junge Israelis ihr Verhältnis zu ihren Altersgenossen in Deutschland? Bis zur Ankunft zeigten sich die jungen Israelis etwas distanziert: »Deutsche? … Nach Deutschland?« Doch schon nach den ersten zehn Minuten der ersten Begegnung in der Schule hatten sich die Vorbehalte verflüchtigt. Jeder will mit jedem sprechen: »Wie heißt Du? … Wer ist bei Dir zu Gast?« Dann ein israelischer Junge: »Ich habe Hunger!« – Israelis?
Deutsche? – Jugendliche! Junge Erwachsene! Nur aus der konkreten Begegnung kann Gemeinsamkeit entstehen. Die israelischen Gäste waren in den Familien unserer Elftklässler untergebracht. Die Schüler lebten den Alltag mit ihren Gastgebern. »Die sind genauso wie wir, … die mögen bunte Kleidung.« Schnell war Kontakt da, der alle Vorbehalte beiseite räumte. Schnell wurden die freien Abende organisiert, bei denen allerdings Gast wie Gastgeber lernen mussten, Regeln einzuhalten – zum Beispiel Pünktlichkeit. Aber das war kein wirkliches Problem: Zwischen Tanzen und Erzählen entstand viel Sympathie füreinander.
So war die Basis geschaffen, sich mit einem ernsteren Thema – dem Holocaust – zu befassen. Das ehemalige Konzentrationslager Neuengamme bei Hamburg wurde besichtigt und das Holocaust-Mahnmal in Berlin. Betroffenheit, Ärger, Schuldgefühle, ja auch Angst kamen nach dem Besuch der Ausstellung im Holocaust-Mahnmal in den Schülern aber auch in den Lehrern hoch. Still wurde es. – Doch die Weltstadt Berlin mit ihrem pulsierenden Leben schlug die Gruppe sofort wieder in ihren Bann. Und dann eine Geschichte, die nur in Berlin passieren kann. Auf dem Bebel-Platz ist die »Empty Library«, ein Mahnmal von Micha Ullman für die von den Nazis verbrannten Bücher. Ein älterer Herr mischt sich in die Erklärungen Eyal Wassers, des israelischen Lehrers, berichtigend ein: Es ist Micha Ullman selbst, der der Gruppe eine exklusive und private Erläuterung seines Werkes gibt. Die Schüler sind beeindruckt!
Gesprochen wurde Englisch, wobei die deutschen Schüler versuchten, in die Geheimnisse der hebräischen Sprache einzudringen. Die Schüler aus der Nordheide sind entschlossen, im März nächsten Jahres den Besuch zu erwidern. Die Einladung steht. Zuvor werden drei Schüler ihr dreiwöchiges Landwirtschaftspraktikum in Harduf verbringen.