Der Clown im Lehrer

Rosie Harrison, Robin Dennis

»Not I, not I, but the wind that blows through me! (…) If only, most lovely of all, I yield myself and am borrowed. By the fine, fine wind that takes its course through the chaos of the world« (aus »Song of a Man Who Has Come Through« von D.H. Lawrence). Mit diesen Worten erfasst Lawrence etwas, das sowohl für einen Waldorfpädagogen als auch einen Theaterclown gilt: Das freie und schöpferische Handeln eines Lehrers orientiert sich in erster Linie an den Bedürfnissen der Klasse, und entsteht letztendlich nicht aus dessen Alltagspersönlichkeit (dem Alltags-Ich) heraus. Er ist »nicht Ich«, sondern entliehen, geborgt vom »zarten, zarten Wind«. Genau dies ist die Kunst des Theaterclownings: sich der Beziehung mit dem »Chaos dieser Welt« offen und ganz hinzugeben.

Intuition

Die Herausforderungen, mit denen sich ein unerfahrener Lehrer konfrontiert sieht, haben in der Regel einen gemeinsamen Ursprung. Der von jungen Lehrern häufig beklagte Mangel an Disziplin, aktiver Teilnahme und Interesse am Unterricht liegt oft begründet in einem rigiden Festhalten des Lehrers an seiner Unterrichtsplanung sowie einem allgemeinen Muster der Abhängigkeit von seinem methodischen und didaktischen »Wissen«. Er hat nicht genug Vertrauen in sich und seine Fähigkeiten, um von seinem vorgedachten Plan abzuweichen, auch wenn die Situation genau dies erfordern würde. Doch nur das Loslassen in solche Situationen eröffnet den Raum, der notwendig ist, um hören zu können. Solange Lehrer nicht lauschen, können sie das Flüstern »des Windes« nicht hören: die einfachen und subtilen Lösungen, die ihnen die Möglichkeit geben, ihre Intuitionen in jedem Moment wahrzunehmen und daraus zu handeln.

Das Theaterclowning lädt die Teilnehmer dazu ein, bewusst jeden Plan zu verwerfen und frei zu improvisieren. Ergänzend zur Aneignung von Wissen zu Methodik und Inhalt stärkt die Improvisation das Vertrauen des Lehrers in seine intuitiven Fähigkeiten. Dies kann ihn darauf vorbereiten, mit Unerwartetem umzugehen, präsent im Hier und Jetzt und offen zu sein für das, was kommt – wie ein Clown, der ohne jeden Plan eine leere Bühne betritt, geleitet von einer erhöhten Aufnahmefähigkeit für das, was er sieht und fühlt.

Tritt dieser Zustand im Klassenzimmer ein, macht der Lehrer einen bedeutenden Schritt vom Lehrling zum Lehrer, wie ihn ein Teilnehmer eines Theaterclown-Kurses beschreibt: »Ganz wie im Unterricht geht es im Clowning darum, dem Ungewohnten und Ungeplanten kreativ und vor allem mit einem Lächeln gegenüberzutreten.«

Spiel

»Der Mensch spielt nur, wo er in voller Bedeutung des Wortes Mensch ist, und er ist nur da ganz Mensch, wo er spielt« (Friedrich Schiller). – Spielerisch sein bedeutet, sich in einen Zustand der Leichtigkeit, Offenheit und Neugierde zu begeben, allzeit im vollen Bewusstsein des jeweiligen Momentes und in Verbindung mit den Menschen, die ihn mit einem teilen. Es geht weniger darum, was man tut, als viel mehr darum, wie man etwas tut. Die Fähigkeit, entspannt, offen und mit dem gegenwärtigen Moment verbunden zu sein, ist sowohl für fruchtbares Lernen als auch für das intuitive Lehren erforderlich. Es ist diese Haltung, die gleichzeitig einfach und doch heilig ist, durch die sich die Waldorfpädagogik auszeichnet und deren Werte sie schützt.

Das Theaterclowning lädt dazu ein, alte Muster und Denkweisen darüber, was richtig oder falsch ist, wie man sein sollte oder was man tun müsste, zu überwinden. Wer sich auf diese Entdeckungsreise einlässt, kommt in den Genuss der Erfahrung, wie es sich anfühlt, wenn Fehler nicht nur dazugehören, sondern sogar ein Geschenk sind; sie führen in den Zustand eines tiefen Lernens.

Nicht Ich

Wenn wir uns in diesem spielerisch intuitiven Zustand befinden, sehen wir die Dinge, wie sie wirklich sind, nicht, wie wir denken, dass sie sein müssten oder sein sollten, was eine Grundvoraussetzung des Lehrens ist. Susana Losso von der Christian Morgenstern Schule in Hamburg formulierte: »Durch Clown-Übungen erkennen wir, wie wir unsere Stimme benutzen, wie wir andere Menschen unterstützen, mit welcher Körpersprache wir anderen begegnen, was wir mit unseren Händen machen, wie offen wir gegenüber anderen Menschen sind.« Durch das Clowning werden wir unserer selbst und dessen bewusst, wie wir zu anderen in Beziehung treten. Es ist ein lebendiges Bewusstsein, in dem wir nicht so sehr auf die Stimme unseres abwägenden, befangenen Ichs hören, sondern »dem Wind« folgen, unserem authentischen und spontanen Selbst – fließend, intuitiv und in einem gegenseitigen Abhängigkeitsverhältnis stehend, ausbalanciert und bereit, uns jeden Moment aufs Neue in die richtige Richtung führen zu lassen. Ein Lehrer, der sich von seiner pädagogischen Intuition leiten lässt und sich seiner Umgebung ganz bewusst ist, ist ein freier Lehrer. Sobald ein Referendar beginnt, solche schöpferische Erfahrungen zu erkunden, wird er ein Stück jener Freiheit erfahren, nach der er sich sehnt, wenn er vor seiner Klasse steht.

Aus dem Englischen übersetzt von Bettina Ruckelshausen

Zu den Autoren: Rosie Harrison ist Englischlehrerin an der Karl Schubert Schule in Leipzig. Robin Dennis ist Lehrer für Englisch und Geschichte an der Freien Georgenschule in Reutlingen.