Inkanyezi Waldorf School – Stern im Township

Eike-Sophia Sondermann

Zu der Zeit, als Schulboykotts und die Aktivitäten militanter junger Farbiger in den Townships einen neuen Höhepunkt erreichten, ging eine kleine Gruppe von Waldorflehrern hinaus, um in Alexandra Brücken zwischen Schwarz und Weiß zu bauen. Die Jahre zwischen 1987 und 1994 waren in vielen Townships im ganzen Land besonders gewalttätig. Das Gebiet um die Inkanyezi Waldorf School war eine Kriegszone, die »Beirut« genannt wurde. Die meisten Menschen flohen oder wurden vertrieben. Die Lehrer schafften es jedoch, Inkanyezi während all dieser Jahre offen zu halten – während alle anderen Schulen mit jedem Boykottaufruf oder Massenprotest geschlossen wurden.

In Südafrika hat die schwarze Bevölkerung auch heute noch mit den Wirkungen der Apartheid zu kämpfen – noch immer herrscht keine Gleichheit für weiße und schwarze Bürger. Die Perspektivlosigkeit, die mit Armut und schlechten Bildungsmöglichkeiten in den Townships zusammenhängt, führt zu Krankheiten, Sucht und Kriminalität. Für die Menschen ist es wichtig, eine Perspektive zu haben, die den Blick für neue Möglichkeiten öffnet. Eine solche Perspektive versucht die Inkanyezi Waldorf School zu bieten. Die Schule hat mit ihrem Konzept etwas völlig Neues nach Alexandra gebracht. Sie ist etwas Besonderes in dieser Gegend – ein kleiner, leuchtender Stern in der Dunkelheit des Township-Lebens. Nie hat die Schule Kinder aus finanziellen Gründen oder aufgrund von Behinderungen weggeschickt – Inkanyezi ist Auffangstelle für diese Kinder. Sie erleben dort Wärme und Geborgenheit.

Um das Schulgelände herum spielt sich der Alltag eines Township-Lebens ab. Die Kinder sind den ganzen Tag eingepfercht in ihren Hütten und das seit Generationen. Einige Familien wissen nicht, was sie morgen essen werden. Zusätzlich leben die Menschen in ständiger Angst, denn direkt vor ihrer Haustür werden Menschen überfallen und angeschossen. Oft sind sie geplagt von Krankheiten und es ist ihnen unmöglich, einen Arzt zu bezahlen. Kinder, die nicht richtig sehen können, müssen ein Leben lang damit zurecht kommen, versagen in der Schule und können keine Berufsausbildung machen. Es ist ein Teufelskreis. Auch wenn sich die traditionelle Rollenverteilung gerade stark verändert, wird sie in den Townships weiter gelebt. Den Mädchen wird der Kontakt zu Jungen streng untersagt und über Sexualität wird niemals gesprochen. Dabei leben die Mädchen in den Townships ungeschützt. Immer wieder kommt es zu Vergewaltigungen.

Die Schule beginnt jeden Morgen um acht Uhr mit dem Hauptunterricht. Jeden Donnerstag findet morgens der »Service« statt, die Sonntagshandlung, die zum freichrist­lichen Religionsunterricht gehört. Dieser trägt die Schule wie eine Säule. Schon in der ersten großen Pause wird für die Schüler eine warme Mahlzeit zubereitet, denn viele Kinder hatten am Morgen kein Frühstück und den Abend zuvor kein Abendessen. Dann gibt es für alle Klassen Fachunterricht. Durch die Mitarbeit von Freiwilligen kann auch Förderunterricht für einzelne Schüler oder Kleingruppen angeboten werden.

Die Gehälter der Waldorflehrer liegen weit unter denen der staatlichen Lehrer. Die Inkanyezi Waldorf School muss jeden Cent umdrehen, wenn Geld gebraucht wird, zum Beispiel für die jährliche landesweite Waldorflehrer-Konferenz, an der möglichst alle Lehrer teilnehmen sollen. Die Schule hat mit einer ständigen Preissteigerung aller Waren zu tun; der Staatsapparat ist inkompetent und korrupt. Die Lehrer sparen, wo es nur geht und müssen das zunehmend tun, da sie alle Familien zu ernähren und schulpflichtige Kinder haben. Die Schule steht »innerlich« auf starken Beinen, da das Kollegium fortwährend am Zusammenhalt arbeitet. Allerdings wird die Umgebung, aus der die Kinder kommen, die Inkanyezi besuchen, immer ärmer, da die Arbeitslosigkeit ständig wächst. Die neuen Steuergesetze verbieten es der Inkanyezi Waldorf School, Freiwillige, denen sie einen Transportzuschuss bezahlen will, einzustellen, es sei denn, sie besteuert diesen Zuschuss mit 25 Prozent! Deshalb ist die finanzielle Situation der Inkanyezi Waldorf School kritisch.

Da die Schule mit der siebten Klasse endet, stellt sich die Frage, wie es für die Schüler weitergeht. Bisher sind sie ihrem Schicksal überlassen. Die meisten umliegenden Schulen sind schlecht und andere Schulen sind nur mit dem Bus zu erreichen, den sich die meisten Familien nicht leisten können. So sinken die Chancen auf einen Schulabschluss und eine Berufsausbildung. Es ist und bleibt der große Wunsch der Inkanyezi Waldorf School, eine Oberstufe zu schaffen und die Schüler auf das Berufsleben vorzubereiten. Doch das scheitert daran, dass es zu wenige Räume und Lehrer gibt – ganz abgesehen davon, dass vorne und hinten das Geld fehlt. Wie gut es den Kindern tut, für eine Woche oder fünf Tage in die Wildnis zu gehen und dort das erste und meistens das letzte Mal die Natur und deren Bewohner kennen und achten zu lernen, kann man sich nur vorstellen, wenn man weiß, wie eng sie in den Townships zu Millionen zusammenleben. Die Kinder kennen die Welt außerhalb des Townships nicht.

Im Sommer letzten Jahres konnte durch Spenden für die Abschlussklasse eine Klassenreise organisiert werden. Für die Schüler war diese Reise die Erfahrung ihres Lebens. Sie konnten die wunderbare Landschaft ihres eigenen Landes bestaunen, Tiere in ihrer wahren Größe sehen oder auch neue geschmackliche Eindrücke bekommen, als wir zum Beispiel einen Ausflug auf eine Käsefarm unternahmen. Viele Kinder schrieben später in ihr Tagebuch: »This is the best trip of my life!«

Link: www.freunde-waldorf.de | (Stichwort Inkanyezi-Klassenfahrten)