Klettern, Zelten, Abenteuer – ganzheitliche Erziehung im Kletterferienlager Cottbus

Manuela Peter

Die Erlebnispädagogik nimmt insbesondere Erlebnisse, die über das Alltägliche hinausgehen, starke Emotionen in uns hervorrufen oder uns sogar auf irgendeine Weise herausfordern, in den Fokus. Solche Erlebnisse prägen und regen uns an, unsere Ansichten und Verhaltensweisen zu überdenken und unseren Charakter zu bilden.

Um Kindern und Jugendlichen solche besonderen Erlebnisse mit auf den Weg zu geben, hat der Bauingenieur und Erlebnispädagoge Jens Brand ein Kletterferienlager ins Leben gerufen. Doch auch für Eltern und Pädagogen lohnt es sich, das Ferienlager für ein paar Tage zu begleiten und pädagogische Möglichkeiten außerhalb der Schulmauern in den Blick zu nehmen.

Die Reise beginnt

Die erste Nacht in den Zelten war kurz, doch verschlafen ist hier niemand. Um 7 Uhr früh stehen die Kinder, Jugendlichen und Betreuer bereits im Kreis zum Morgensport. Jeder turnt eine Übung vor, die anderen machen mit. Das Team von »build a rock« von Jens Brand steht bereit. Der Name ist Programm, denn hier im Cottbusser Norden entstehen künstliche Kletterfelsen aus Abrissplatten und Spritzbeton, die an Häuser von Hundertwasser und Gaudí oder an die Steinstatuen der Osterinseln erinnern. Das Gelände ist ein kleines, verrücktes Abenteuerland und perfekt für ein Kletterferienlager geeignet, ergänzt von einer Badestelle und Ziegenweide. Die Pflege der Tiere übernehmen in diesen Tagen die Kinder und Jugendlichen. Sie kümmern sich auch um die Versorgung der Gruppe, beschaffen Wasser und unterstützen die Betreuer bei sämtlichen Küchentätigkeiten. Abends sitzt man am Lagerfeuer zusammen, erzählt Geschichten oder musiziert.

Auf zum Kletterfelsen

Nach dem gemeinsamen Frühstück geht die Gruppe das erste Mal klettern. Der ausgehöhlte Kunstfelsen auf dem Gelände ist acht Meter hoch. An den Innen- und Außenwänden gibt es Kletterrouten in verschiedenen Schwierigkeitsgraden. Es gibt Möglichkeiten zum Strickleiterklettern, dem Klettern an Kunstgriffen und Naturstrukturen oder zum Bouldern. Während es beim Bouldern, dem Klettern in Absprunghöhe, allgemein wenig Verletzungspotential gibt, geht es beim klassischen Klettern hoch hinaus. Dabei ist das Absichern mit einem Seil natürlich essentiell. Am Vortag wurden die Knoten und Seilkommandos geübt. Viele der Kinder und Jugendlichen haben schon Erfahrungen im Klettern. Ihnen gehen die Sicherheitsvorkehrungen leicht von der Hand. Den unerfahreneren Schützlingen schauen die Betreuer natürlich stets über die Schulter. Immer wieder hallen ihre Erinnerungen an die Einhaltung der Sicherheitsvorkehrungen durch den Raum. Ein Aufstieg ist schließlich erst dann vollendet, wenn auch der Abstieg geglückt ist.

Die ersten Routen sind etwas schwieriger zu meistern, doch nachdem sich alle warmgeklettert haben, gibt es kein Halten mehr. Jede Route wird ausprobiert, jede neue Herausforderung angenommen.

Was bei vielleicht leicht aussehen mag, ist eine große Herausforderung für Körper, Geist und Emotionen. Wer es selbst einmal ausprobiert hat, weiß wie kraftaufwendig der Klettersport ist. Die Felsen sind schroff. Die Finger schmerzen. Man stellt sich seinen Ängsten und stößt irgendwann an seine Grenzen. Doch dies macht, nach Jens Brand, ja gerade auch den Reiz des Kletterns aus: »Es ist die Ambivalenz zwischen Angst, den eigenen Grenzen und der Neugier des Entdeckens, was nach dem nächsten Absatz, dem nächsten Griff kommt.«

Mit dem Kletterlager verlassen die Kinder ihre Komfortzone, lernen sich zu reduzieren und auf das Wesentliche zu beschränken. Diese Zeit bringt auch ein Naturerlebnis mit sich, wie es im alltäglichen Leben kaum noch möglich ist. Die Heranwachsenden treten in Verbindung mit der Erde. Alles ist viel ursprünglicher und wird intensiver wahrgenommen. Die Erfahrungen werden nochmal intensiviert, wenn die Gruppe im Lauf der Woche den Bauhof verlässt und zu einer Exkursion ins Elbsandsteingebirge aufbricht. Sie erklimmen die Naturfelsen, schlafen unter einem Felsvorsprung und erleben, wie dunkel die Nacht fernab der Stadt tatsächlich ist.

Doch zurück zum Bauhof. Am Nachmittag können die Heranwachsenden hier zwischen verschiedenen Aktivitäten wählen. Es gibt einen Zirkusworkshop, Stockfechten, Basteln, Knobelspiele oder das Spiel »die Werwölfe von Düsterwald«. Die Kletterkinder können sich hiervon ein Angebot aussuchen oder wieder klettern gehen. Kein Tag verläuft gleich. Heute entscheidet sich die Mehrheit der 17-köpfigen Gruppe wieder für das Klettern. Diesmal geht es in die Halle mit einer neun Meter hohen Kletterwand.

Vom Konsumenten zum autonomen Menschen

So vergehen die Tage. Was in der Welt außerhalb des Kletterferienlagers geschieht, steht auf einem anderen Blatt. Alle Beteiligten vergessen ihre Smartphones. Das Kletterferienlager lässt die Kinder entschleunigen und zur Ruhe kommen.

Am letzten Tag sind die Eltern zu einer Präsentation eingeladen. Die Kinder singen ein eingeübtes Lied vor, führen akrobatische Kunststücke auf oder zeigen ihnen, wie geschickt sie schon klettern können. Bei all den sportlichen Aktivitäten, Naturerfahrungen, Herausforderungen und dem Gemeinschaftsleben ist Jens Brand vor allem wichtig, »möglichst keine Konsumenten zu erziehen, sondern eigenverantwortliche, autonome Menschen, die in der Welt auf festen Füssen stehen.« Und tatsächlich kann man nach einer Woche den Eindruck haben, dass die Kinder und Jugendlichen aus dieser Woche gereift herausgehen.

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