Lernziel: Handeln können

Peter Guttenhöfer

Das geht nicht im Klassenzimmer. Muss Schule der alten Art sich auflösen, wenn das, was die Kinder lernen wollen, mit ihnen gemeinsam von den Lehrern selbst getan wird? In einer Umgebung, die dem Menschen unmittelbar zeigt, was getan werden will? Das »Lehrlernen« hätte ausgedient, an seine Stelle wäre »Handlungslernen« getreten – eine Herausforderung, die uns besonders in Pandemiezeiten bewusst werden kann.

Der Zivilisationsprozess unserer Tage trägt kindheitsfeindliche Züge: Niemand hat wirklich Zeit für Kinder, die Großen gehen ihren eigenen Interessen nach, Tagesstätten und Schulen sind Auffanglager, wirtschaftliches Kosten-Nutzen-Denken steuert die Bildungsprozesse. Die Kinder können die Geheimnisse der Natur mit ihren Schönheiten und Gefahren gar nicht mehr kennenlernen. Und nun raubt der gesundheitspolitisch begründete Notstand ihnen auch noch die Begegnung mit den Menschen! Die Not, die alle Naturwesen durch uns erleiden, das Ungleichgewicht, in das die Elemente – Wärme, Luft, Wasser und Erde – geraten sind, haben sich schon lange angekündigt. – Was können wir tun? Die meisten fliehen noch immer die Berührung mit der Natur; denn sie fühlen, dass sie in den Schulen oder auf den Universitäten kaum etwas gelernt haben, womit sie an der Erde arbeiten könnten. Die Kräfte sind geschwunden, die die mit den Gliedmaßen arbeitenden Menschen, Bauer und Handwerker, brauchten; der Tätigkeits- und Bewegungsmensch, der wir alle als Kinder gewesen sind, hat sich in der Zeit des Heranwachsens nicht weiterentwickelt, und wir sind ganz und gar abhängig geworden von Elektrizität und Maschine. Viele junge Menschen spüren dieses Defizit, manche drängen aus den Städten hinaus, suchen neue Lebensformen, die eine Wiedervereinigung von Arbeit mit und an der Erde und geistig-kultureller Aktivität ermöglichen würden, jenseits von Profit, Macht und Bequemlichkeit; sie erleben sich und die Erde mit all ihren Geschöpfen als ein gemeinsames lebendiges Wesen. Warum aber ist diese Einheit auseinandergefallen? Warum berühren sich die Tätigkeitsfelder der Bauern, der Lehrer und der Ärzte in der modernen Gesellschaft kaum? Die Idee einer möglichen Überwindung dieses Auseinanderfallens eröffnet weite politische, soziale, pädagogische, ökologische und ökonomische Perspektiven, aber auch konkrete Möglichkeiten, indem Orte und Gemeinschaften geschaffen werden, wo diese Bereiche wieder zusammenwachsen, wo die Kinder in der Begegnung mit den Elementen und sinntragenden Lebens- und Arbeitszusammenhängen aufwachsen und lernen dürfen: Landwirtschaft, Handwerk, Hauswirtschaft. Nicht nur um des Gedeihens der Kinder willen, sondern um Keime zu bilden für eine humane Kulturentwicklung in der Zukunft. Die Kinder sollen in »vollständigen Umgebungen« (Goethe) heranwachsen, spielend und arbeitend lernen, im Zusammensein mit Erde, Pflanzen, Tieren und Menschen. Eine kleine Anzahl solcher handlungspädagogischer Initiativen, die auf der Waldorfpädagogik gründen, arbeitet bereits seit einigen Jahren an den verschiedensten Orten der Welt. Die Träger solcher Initiativen wollen sich zu einer Arbeitstagung treffen mit Lehrern, Bauern, Ärzten und Schülern, Eltern, Studenten und Lehrerausbildern:

Die Arbeitsgemeinschaft Handlungspädagogik und der Bund der Freien Waldorfschulen laden vom 23.–25. September 2021 zu dieser Tagung am Institut Witten-Annen ein.

www.handlungspaedagogik.org