Der Vereinsgründung vorausgegangen war ein über einige Jahre dauernder Schüleraustausch zwischen dem Istanbuler Gymnasium »Istanbul Erkek Lisesi« und der Hambuger Waldorfschule in Bergstedt. Schon bei der Vereinsgründung im Herbst 2008 tauchte der Gedanke auf, einen öffentlichen Kongress in Istanbul zu veranstalten, um zu sehen, wie groß das Interesse an Waldorfpädagogik in dieser 15 Millionen Einwohner zählenden Stadt ist. Die Resonanz kam aus dem ganzen Land. Im März 2009 reisten rund 200 Menschen zu dieser ersten türkischen Großveranstaltung über Waldorfpädagogik an: Mütter, die für ihre bald schulpflichtigen Kinder nach einer pädagogischen Alternative zum rigiden öffentlichen Pauksystem suchten, Erzieherinnen und Lehrer auf der Suche nach Anregungen für ihre pädagogische Arbeit, Studentinnen der Pädagogik, die an ihren Universitäten nichts über diese Form der Pädagogik hörten. (Die Erziehungskunst berichtete darüber in Heft 5/2009 – den Artikel können Sie hier herunterladen.)
Das Waldorferzieher-Seminar entsteht
Beim Kongress konnten sich Teilnehmer, deren Interesse an Waldorfpädagogik über die Veranstaltung hinausreichte oder die sich vorstellen konnten, an einer berufsbegleitenden Waldorf-Erzieherausbildung teilzunehmen, in eine Liste eintragen – am Ende standen 80 Namen darauf. Im September 2009 begann das Erzieher-Seminar in Istanbul mit 28 Teilnehmerinnen und einem Teilnehmer. In monatlichen Wochenendseminaren, ergänzt durch vier einwöchige Kurse, arbeiten wir seit zwei Jahren zusammen. Die Dozenten kommen aus verschiedenen deutschen Städten, wobei wir das Glück haben, in unserem Kreis mit Nurtac Perazzo auch eine türkische Pädagogin zu haben. Sie ist Waldorferzieherin und Diplompädagogin. Nurtac, die in Berlin lebt, unterrichtet nicht nur regelmäßig am Istanbuler Seminar, sie hat aufgrund der starken Nachfrage auch damit begonnen, in verschiedenen Städten der Türkei waldorfpädagogische Arbeitsgruppen für Eltern und Erzieher aufzubauen. Bemerkenswert ist, dass in diesen Elterngruppen auch viele Väter dabei sind, die auf möglichst rasche Veränderungen drängen. So wollte ein Vater nach einem Elternabend zu Hause das gesamte Plastikspielzeug seiner Kinder wegwerfen und durch Waldorfpuppen und Stofftiere ersetzen wenn es diese denn schon gäbe! Ein Kreis von türkischen und in Istanbul lebenden deutschen Seminar-Teilnehmerinnen arbeitet daran, in Istanbul eine Waldorf-Spielgruppe einzurichten, mit dem Ziel, bald einen Waldorfkindergarten zu gründen.
Brücke zwischen Asien und Europa
Im vergangenen Jahr hat Tarhan Onur die »Erziehung des Kindes vom Gesichtpunkte der Geisteswissenschaft« von Rudolf Steiner ins Türkische übersetzt und herausgegeben. Weiterhin gibt es bereits einige Übersetzungen aus der Broschürenreihe: »Recht auf Kindheit – Ein Menschenrecht«, die nun auch in Deutschland bezogen werden können. In Deutschland leben etwa 3,5 Millionen Menschen mit türkischem Lebens- und Kulturhintergrund. In unseren Waldorfkindergärten spielen türkische Kinder, an den Seminaren und in den deutschen Waldorfkindergärten studieren und arbeiten Menschen, die als Kinder mit ihren Eltern aus der Türkei eingewandert oder in Deutschland in türkische Familien hineingeboren wurden – und es gibt mehr und mehr deutsch-türkische Familien, die sich für Waldorfpädagogik interessieren. Waldorfpädagogik ist ein Erziehungs- und Bildungsangebot für alle Kinder in der Welt. Die Arbeit am Seminar in Istanbul, die Elternarbeit in türkischen Städten wie Mudanya, Izmir und Bodrum, die Begegnungen der deutschen Dozenten mit türkischen Pädagogen und ein sich aufbauender Grundstock von ins Türkische übersetzter waldorfpädagogischer Literatur – all das sind kleine, aber wichtige Bausteine, damit Menschen unterschiedlicher Kulturen sich begegnen und gemeinsam von einander und miteinander lernen können. Istanbul ist in diesem Jahr europäische Kulturhauptstadt und diese Stadt ist wie keine andere als eine Brücke zwischen Europa und Asien zu verstehen.
Bezug der türkischen Waldorfbroschüren:
E-Mail: peter.lang@waldorfkindergartenseminar.de