Es braucht aber Konzepte und Spielregeln, um Negatives zu verhindern. Die Waldorfschule Gröbenzell hat ihren Weg gefunden, wie unsere Autorin berichtet.
Die digitale Revolution heißt Revolution, weil sie sich nicht langsam ankündigt, sondern plötzlich da ist. An der Waldorfschule Gröbenzell war es 2016 soweit: Die Anzahl der Smartphones in den Händen von Schüler:innen stieg, das Alter sank und immer häufiger sah man Eltern mit Smartphones auf dem Schulgelände. Zu groß waren offenbar die Verlockungen, schnell beim Abholen die Kinder für den Nachmittag zu verabreden, E-Mails zu checken oder auf Nachrichten aus der Freundesgruppe zu antworten. Eltern und eine Klassenlehrerin sahen dringenden Handlungsbedarf und gründeten den Arbeitskreis (AK) Medienkonzept, der sich nahtlos in die Selbstverwaltungs-Topographie der 15 weiteren Arbeitskreise an der Gröbenzeller Waldorfschule einfügte.
Die ersten beiden Jahre verbrachte der AK mit Grundlagenarbeit und damit, eine Haltung zum Thema Digitale Medien an der Waldorfschule zu entwickeln. In der Unterstufe war die Sache klar: Eltern und Lehrer:innen wünschten sich einen umfassenden Schutz für die Kinder. Ab der Mittelstufe wurde es schon schwieriger. Viele Familien hatten daheim bereits digital aufgerüstet, Kinder Zugang zu Tablets und Computern und manche sogar ein eigenes Smartphone. In den Klassen und auf Elternabenden wurde um Vereinbarungen gerungen, die Meinungen gingen auseinander, es war nicht klar, was ab welcher Klassenstufe pädagogisch angebracht war.
Gleichzeitig gab es die Aufforderung des Freistaats Bayern, Medienkonzepte vorzulegen. An diese waren Fördergelder aus dem Digitalpakt geknüpft. In dieser Gemengelage wurden zum Teil Fakten geschaffen, wie etwa die Anschaffung digitaler Tafeln in der Oberstufe, zum Teil auch nicht. So wurde etwa die Einführung eines elektronischen Mensaabrechnungssystems verworfen, da das Aufstellen von Terminals im Schulgebäude nicht gewünscht war. Der Druck stieg von allen Seiten und gipfelte in der Corona-Pandemie, in der buchstäblich über Nacht Online-Unterricht und Plattformen für digitales Zusammenarbeiten eingeführt wurden.
«Wir brauchten ein Konzept», erzählt Daniela Haller-Murr, Klassenlehrerin und Mitglied der Schulführungskonferenz. Sie hat den AK Medienkonzept seinerzeit mit ins Leben gerufen. «Wir wollten die neue Technik nicht verteufeln, es ging uns von Anfang an um Aufklärung und Medienmündigkeit. Auch Rudolf Steiner sagte bei der Gründung der ersten Waldorfschule vor einhundert Jahren, man müsse mit der Technik gehen.» Maite Schneider, die von Elternseite ebenfalls Mitglied im AK Medienkonzept ist und für die Schule an den Bundes- und Elternratstagungen teilnimmt, ergänzt: «Unser Credo war, dass wir unsere Kinder befähigen müssen, die Chancen, die mit den neuen Medien verbunden sind, zu begreifen und zu verhindern, dass sie von den Medien ergriffen werden. Wir wollten keine Benutzertrottel. Wir wollten, dass die Jugendlichen hinter die Technik blicken und sie beherrschen statt umgekehrt.»
Der Prozess, der zum Medienkonzept geführt hat, war langwierig, zäh und zuweilen frustrierend. «Am Ende war es ein guter Prozess», zieht Daniela Haller-Murr Resümée. «Es war wichtig, alle miteinzubeziehen und zum Nachdenken anzuregen.»
Im Medienkonzept der Schule finden sich nun detaillierte Inhalte und Vorgaben für Eltern, Lehrer:innen und Schüler:innen für die Unter-, Mittel- und Oberstufe. Sie beschreiben, welche Aufgaben und Rollen die Gruppen jeweils haben und was die konkreten Lerninhalte in Bezug auf Medien sind.
So haben elektronische Medien in der Unterstufe nach wie vor keinen Platz. Der gesamte Unterricht ist durch die Lehrperson geprägt und arbeitet ausschließlich mit klassischen Medien wie Singen, Malen, Lesen, Erzählen, rhythmischen Übungen.
In der Mittelstufe werden die Schüler:innen entwicklungsangemessen in den Umgang mit digitalen Medien eingeführt. Viele Projekte und Unterrichtsformate führen die Lernenden zwar noch nicht direkt an die Handhabung und das Verständnis von digitalen Medien heran, fördern und vertiefen aber personale und soziale Kompetenzen, die sie für einen verantwortungsvollen und kompetenten Umgang mit diesen Medien stärken. Dazu zählen eine mehrwöchige Theaterarbeit ebenso wie der Medienführerschein, den die Mittelstufenschüler:innen ab der fünften Klasse in mehreren Stufen absolvieren und der sie auf die Nutzung digitaler Medien vorbereitet. Umfängliche Aufklärung über Gefahren im Internet und in den sozialen Netzwerken, Datenschutz und Suchtgefahren sind einige Bestandteile davon. In diesem Schuljahr wird der Medienführerschein noch von Mitarbeitenden der Freien Hochschule Stuttgart durchgeführt. Die Fortbildungen für das Gröbenzeller Kollegium laufen, so dass die Lehrer:innen den Medienführerschein künftig selbst in den Unterricht integrieren können. Begleitet werden sie dabei von sogenannten Medienscouts. Zehn Streitschlichter:innen der neunten und zehnten Klasse haben die Zusatzausbildung zum Medienscout absolviert und werden in die Weiterentwicklung des Medienkonzepts involviert. «Das Streiten verlagert sich zunehmend in den digitalen Raum», berichtet Daniela Haller-Murr. «Da ist es gut, wenn die Medienscouts auch ausgebildete Streitschlichter sind.»
In der Oberstufe verfügen die Schüler:innen in der Regel über digitale Geräte, mit denen sie Zugang zu den unzähligen Möglichkeiten, Herausforderungen und Gefahren der digitalisierten Medienlandschaft haben. Auf dem Weg zur Medienmündigkeit erwerben sie grundlegende Kompetenzen in der Nutzung digitaler Medien und erproben sie als sinnvolle Hilfsmittel für Recherche und Information, Präsentation, gestalterisch-kreative Zwecke, Kommunikation und Kooperation. Die Schule legt dabei viel Wert auf eine innovative technische Ausstattung und den zweckmäßigen Einsatz durch die Lehrkräfte, die hier eine Vorbildfunktion haben. Im Verlauf der Oberstufe erwerben sich so alle Schüler:innen einen lernorientierten Umgang mit digitalen Geräten und Anwendungen, der Schulplattform und digitalen Tafeln und Whiteboards. Die offene Auseinandersetzung mit Medien und medienarme (zum Beispiel Verzichtsprojekt Klassenfahrt) oder rein personale Lernkontexte (zum Beispiel Zwölftklasstheaterprojekt) sind dabei sich notwendig ergänzende Bestandteile der Medienpädagogik in der Oberstufe.
Um den Weg von der ersten bis zur Abschlussklasse gut durchlaufen zu können, beinhaltet die Aufnahme an die Rudolf-Steiner-Schule Gröbenzell mittlerweile eine Erklärung der Eltern, dass sie die Grundhaltung der Schule zum Medieneinsatz mittragen und es als ihre verbindliche Aufgabe ansehen, Kinder im Grundschulalter möglichst frei von elektronischen Medien aufwachsen zu lassen.
In der Zwischenzeit haben sich um das Medienkonzept viele andere Aktivitäten und Initiativen gebildet, die nicht notwendigerweise vom Arbeitskreis kommen. «Die Schulgemeinschaft kann sich nun am Medienkonzept wie an einer Kompassnadel ausrichten», sagt Maite Schneider.
Eine dieser Initiativen ist beispielsweise die agile Gruppe Digitale Medien und Schulordnung. Sie hat die Entwicklung einer Netiquette, also Regeln für den Umgang im digitalen Raum, vorangetrieben. «Während der Corona-Pandemie wurde ziemlich schnell klar, dass auch digitale Räume sozialen Regeln unterliegen, die man am besten aufschreibt», sagt Clemens Meyer, Oberstufenlehrer und Mitinitiator der agilen Gruppe. Ausgeschaltete Kameras im Online-Unterricht, Eltern, die denselben verfolgten und private Diskussionen über die E-Mailverteiler der Klassen waren der Grund, ein verbindliches Regelwerk zu entwickeln, das die persönlichen und sozialen Werte schützt und gutes Lernen und Arbeiten im digitalen Raum ermöglicht. Auch dieser Prozess dauerte mehrere Monate und bedurfte der Abstimmung mit vielen relevanten Gremien wie der Lehrer:innenkonferenz, den Vertrauenseltern, den Arbeitskreisen IT und Medienkonzept, der Schüler:innenmitverwaltung und dem Vorstand des Schulvereins. «Die Netiquette in der agilen Gruppe inhaltlich zu erarbeiten war die eine Aufgabe», berichtet Simon Zebhauser, Oberstufenlehrer und ebenfalls Mitglied der agilen Gruppe. «Alle relevanten Partner einzubinden und abzuholen, war aber mindestens genauso wichtig.»
So hat sich die Waldorfschule Gröbenzell in einem umfassenden Prozess, der im Kontext der Selbstverwaltung nie «von oben verordnet», sondern nur «von unten initiiert» werden kann, mit dem fundamentalen Thema der Digitalisierung auseinandergesetzt und ihren Weg gefunden. Dass diese Arbeit nie abgeschlossen sein wird, ist den Beteiligten klar: «Wie das pädagogische Konzept unserer Schule werden wir auch das Medienkonzept und die damit verbundenen Regelwerke kontinuierlich prüfen und weiterentwickeln», ist Daniela Haller-Murr sicher.
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