Bei mir entstand, als ich das erste Mal von solchen Phänomenen hörte, Bestürzung, Empörung und Scham. War doch mein Bild von Waldorfschulen bis dahin ein ganz anderes. Waldorfschulen waren für mich Orte des Widerspruchs zu rechts – nämlich Orte, an denen Lehrkräfte mit einem ganz besonderen, wertschätzenden und humanistischen Blick Schüler:innen betrachteten und unterrichteten. Wo man Kinder nicht nach ihrer Leistung beurteilte, wo Kinder aller Nationen und Religionszugehörigkeiten, mit oder ohne Assistenzbedarf, willkommen waren. Wo man basisdemokratisch Entscheidungen fällen wollte, ohne Anführer:innen. Und wo man auch in Fragen der Ernährung schon seit Jahrzehnten regional und nachhaltig handelte.
Als ich in den 80er Jahren an der Ulmer Waldorfschule, wo mein Vater unterrichtete, das Achtklassspiel sah, hatte der Klassenlehrer dem schwächsten und unsichersten Schüler die Hauptrolle in der Zauberflöte gegeben. Dieses unglaublich intensive Bild, dem Schwächsten das Größte zuzutrauen und ihn auf dem Weg dorthin zu begleiten, hat meine Begeisterung für die Waldorfpädagogik begründet. Als Mutter zweier Töchter an einer Waldorfschule habe ich später dann vor allem solche Eltern wahrgenommen, die ebenso wie ich überzeugte Demokrat:innen waren, viele davon politisch links-grün verortet.
In diesem Heft berichten wir von Angriffen rechter Menschen und Institutionen, die Waldorfschulen und Rudolf Steiner für sich reklamieren wollen. Auch wenn es sich – verglichen mit dem Gros aller Waldorflehrer:innen, Mitarbeiter:innen und Eltern – um eine sehr kleine Minderheit handelt, wollen wir davon erzählen und zur Wachsamkeit aufrufen. Und klar bekennen, dass wir uns dagegen verwahren. Wir, die Redaktion der Erziehungskunst, der Beirat und unser Herausgeber, der Bund der Freien Waldorfschulen.
Die anthroposophische Gesellschaft erinnerte im Juni 2022 an ein rechtsradikales Attentat auf Rudolf Steiner. Im Mai 1922 versuchte eine Gruppe Rechtsradikaler und Nationalsozialisten in München, Steiner mit Hieb- und Stichwaffen zu töten. Nur durch das «mutige Eingreifen einiger Freunde» konnte Steiner geschützt werden.
Steiner galt in rechten Kreisen als Agent des internationalen Judentums und Handlanger des Bolschewismus. Es lässt sich also nicht begründen, die anthroposophische Philosophie und damit die Waldorfpädagogik in die Nähe von rechtem Gedankengut zu stellen.
Sich gegen Nazis stellen, Rassismus benennen und anprangern ist menschlich, demokratisch und notwendig. Bitte machen Sie mit und stehen Sie auf gegen menschenfeindliche Propaganda, Gewalt und Nationalismus. Bleiben wir wach!
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