Doch merkwürdig: Abgesehen davon, dass der größte Lernkiller die im Netz verplemperte (Lebens-)Zeit ist, gibt es keinerlei Beleg dafür, dass digitales Gerät die Lernleistung erhöht. Die jüngste Bildungsmesse Didacta in Köln scheint unter dem Motto »das Bildungs-Update« davon keine Kenntnis zu nehmen und zeigt ungeniert, wer der Gewinner des ganzen Spektakels ist: nicht die Schüler, nicht die Lehrer, sondern die Didaktik-Industrie. Auch wird prominent der Befund unterschlagen, dass die Lehrerpersönlichkeit, also ein lebendiger Mensch aus Fleisch und Blut, der vor den Schülern steht, den Schlüssel zum Lernerfolg darstellt.
Dahingegen erblickt PISA-Chef Andreas Schleicher im pädagogischen Digitalisierungshype ungeahnte Lern-, Lehr- und Methodenpotenziale für die Schüler, während die Lehrer als virtuelle Teamplayer zu den Gipfeln ihrer vollen Professionalität aufsteigen und die Schule – weil von Google von der Last der Wissensvermittlung befreit – sich wieder ihrem Kerngeschäft, nämlich der Ausbildung von moralischen, sozialen und kreativen Kompetenzen, widmen könne. Dabei übersieht Schleicher: Bildung trennt gerade nicht zwischen Wissen und Kompetenz, Bildung ist auch kein Geschäftsmodell und Lernen keine algorithmische Funktion. Gekonnt wird dabei die Elternangst stimuliert: »Mein Kind darf den Anschluss nicht verlieren!«
Die vom Bund der Freien Waldorfschulen herausgegebenen »Struwwelpeter«-Broschüren* sind meines Wissens die einzigen schlüssigen medienpädagogischen Konzepte, die auf einer menschenkundlich erarbeiteten Grundlage aufbauen und sich mit den Ergebnissen der neuesten neurologischen Forschung decken. Kurzgefasst besteht sie darin, dass erst die analoge Bildung die Basis für einen späteren kompetenten Umgang mit der Digitalisierung bildet. Eine gesunde kindliche Entwicklung bedarf der realweltlichen Lern- und Bildungserfahrungen mit allen menschlichen Sinnen.
Völlig ungeklärt sind der mit der Digitalisierung vorangetriebene Ausbau des 5G-Netzes und die damit einhergehende Strahlenbelastung der Schüler und Lehrer; ebenso der Umgang mit personenbezogenen Daten in der Schulcloud.
Aussagen wie »Digital first – Bedenken second« sind symptomatisch für das politische Reflexionsniveau. Es ist Zeit, dass wir dem Digitalpakt einen Humanpakt** entgegenstellen. Was bildet ist nicht Geld und Technik, sondern schöpferische Menschenliebe.