Zusammen mit der »Zirkusschule Seifenblase« hat die Freie Waldorfschule Oldenburg einen neuen Raum der Begegnung für die Schüler des Heilpädagogischen Schulzweiges und der »Regel«-Waldorfschule eröffnet.
Als inhaltlicher Schwerpunkt wurde der »Kreislauf der Natur« gewählt. In der Trainingszeit gab es artistische Arbeit auf der einen und inhaltliche Arbeit zum Thema Kreisläufe in der Natur andererseits. Doch das Miteinander war zu Anfang gar nicht einfach: Verweigerungshaltung, Befangenheit, Albernheiten, Unsicherheiten … Erst ein Text von Johanna aus der zehnten Klasse der Waldorfschule brachte die Wende:
Und du nimmst sie an die Hand,
stellst dich gerade hin, lächelst sie an
Trau dich, nur Mut, dann wird alles gut.
Du bist jetzt 15 Jahre alt,
aber wenn du an die Jahre zurückdenkst, wird dir kalt,
und du fühlst dich schon unendlich alt.
Du erinnerst dich an deine Mutter,
die mit dir am Feuer saß,
dir alte Geschichten und Weisheiten erzählte
und mit dir rote Beeren aß.
An die Tage in den Wäldern,
an das Lachen der anderen Kinder,
an deine Familie
und an die Jäger und Sammler.
Du denkst an den Tag,
an dem alles anders wurde,
die Bäume verschwanden,
und das Lachen der Menschen erstarb.
An dem du vertrieben wurdest,
an dem deine Mutter starb.
Dein letzter Blick auf den Platz,
der einmal dein Zuhause war.
Und du weißt,
Du willst etwas ändern!
Damit auch du
deinen Kindern Geschichten erzählen kannst,
hier in den Wäldern.
Und nimmst sie an die Hand,
stellst dich gerade hin, lächelst sie an,
Trau dich. Nur Mut, dann wird alles gut.
Du stehst vor uns,
den Politikern und Beamten, den Angestellten,
den Arbeitslosen und den Verarmten.
Und du erzählst uns allen eine Geschichte,
unsere Geschichte.
Über den Kreislauf des Lebens und der Natur,
über die Bäume, die wir brauchen,
und über die Ruhe.
Du erzählst von den Meeres- und Luftströmungen,
die für unsere Nahrung und unser Wasser sorgen,
weil sie unser Klima bestimmen.
Und du fragst uns,
wie wir unseren Kindern
noch in die Augen schauen können,
wenn wir ihre Grundlagen vernichten,
und einfach nicht aufhören,
andere Familien zu vertreiben,
zu foltern und zu zerstören.
Du erzählst von Macht und Geld,
dass viele nur reich und besser sein wollen als andere,
von Kriegen um Bodenschätze,
wofür tausende Menschen sterben.
Doch Hauptsache wir sind reich
und wir können viel von unseren Eltern erben.
Und du fragst,
ob es das ist, was uns glücklich macht,
und du siehst,
wie eine Mutter ihre Tochter auf den Arm nimmt
und sie küsst.
Und du brauchst nichts mehr zu sagen.
Eine Träne rinnt dir die Wange runter,
und du siehst lächelnd zu der Mutter hinunter.
Und du nimmst sie an die Hand,
stellst dich gerade hin,
lächelst sie an,
und du sagst,
Trau dich! Nur Mut, dann wird alles gut.
Alle waren tief beeindruckt und dann ging alles ganz schnell. Die Zirkuspädagogin entwarf in groben Zügen eine artistische Choreografie. Textabschnitte wurden verteilt, die akrobatische Umsetzung geübt, neue Texte entstanden.
Ziel des Projekts war es, ein positives gemeinsames Erlebnis des Einzelnen und der Gruppe zu ermöglichen, auf verschiedenen Ebenen, im Künstlerischen, im Praktischen, im Theoretischen, Interesse zu wecken, staunen zu können, zu begeistern, Neues zu lernen und zu üben. Durch das übergeordnete Thema »Peace for the Trees« gab es vielerlei Zugänge.
Die Jugendlichen bauten Kulissen, beschäftigten sich mit Kostümierung und Schminken, Film, Fotografie und Auftrittstechnik.
Mit Trommel- und Gitarrenbegleitung übten sie die musikalischen Beiträge.
Auf einer gemeinsamen Projektfahrt gab es über das regelmäßige wöchentliche Treffen hinaus Begegnungen.
Ein Förster kam zu Besuch, Freizeit und Bühnenarbeit fanden hier Raum.
In den Zirkuselementen, der Jonglage, der Clownerie, dem Diabolo und den Flowersticks war Raum für den Einzelnen und in der Akrobatik Raum für die Gruppe als Ganzes. Es entstand die »Einheit der Vielfalt« wie der Historiker Kusnezow sie für den Zirkus formuliert.
Durch die Zirkus- und Theaterarbeit bekommt die Inklusion ein Gesicht. Das Miteinander der Jugendlichen entsteht im gemeinsamen Handeln und Lernen. Das Medium Zirkus lässt durch seine Vielfalt und seinen verbindenden Charakter aus der Unterschiedlichkeit der Jugendlichen, die sich sonst in ihrem Alltagsleben nicht begegnen würden, ein konstruktives Geschehen entstehen.
Immer wieder haben wir große und kleine Auftritte gesucht. Der Höhepunkt war das Festival »Is doch normal eh« in der Kulturetage in Oldenburg vor großem Publikum.
Die Jugendlichen der Waldorfschule und des Heilpädagogischen Schulzweiges haben mit großem Engagement in dem Projekt gearbeitet, Rückschläge hingenommen und sich gemeinsam weiterentwickelt.
Das Projekt hat viele Türen der Inklusion geöffnet. Aus der anfänglichen Befangenheit, Scheu und Unsicherheit ist Neugierde, Interesse und Offenheit geworden. Es wurde deutlich, dass die Schüler Zeit brauchen, offene Begegnungsräume und ein vielfältiges Angebot – die Schlüssel der Inklusionsarbeit.
Die künstlerische Darstellung des Natur-Kreislaufes in akrobatischer Form brauchte jeden. Bei jedem Auftritt ging ein Ruck durch die Gruppe. Das Publikum zentrierte die Gruppe und der Fokus wurde ganz auf das Publikum gerichtet. Die ergriffenen Reaktionen des Publikums überraschten die Schüler jedes Mal von neuem und ließen sie strahlen.
Inklusion schärft den Blick für die kleinen Momente des Lebens. Die Frage der Jugendlichen am Ende der Projektzeit: »Wie, die kommen jetzt nicht mehr wieder?« macht deutlich, dass von dem anfänglichen Rätsel ein wenig gelöst wurde.
Zur Autorin: Ingrid Grenz ist Klassenbetreuerin der derzeit 12. Klasse des Heilpädagogischen Schulzweiges und seit 12 Jahren an der Schule tätig.