Weltbewusst essen und leben. Unesco-Camp in Loheland

Anja Christinck

Seit der Gründung Lohelands im Jahr 1919 spielt das große Gelände mit Wald, Wiesen, Acker- und Gartenflächen eine besondere Rolle für die Schule und ihre pädagogischen Möglichkeiten. Bereits seit über 80 Jahren wird hier biologisch-dynamisch gewirtschaftet. Neben der Bedeutung für den jeweiligen Ort verband sich diese Wirtschaftsweise von Beginn an mit einer globalen Perspektive. Die Landwirtschaft mit den Tieren, Garten und Wald sind im Schulalltag präsent, und in kleinem Umfang werden frische Lebensmittel für die Gemeinschaftsverpflegung selbst erzeugt. Loheland als Ort für ein dreitägiges Workshop-Camp mit dem Themenschwerpunkt Ernährung zu wählen, lag daher nahe.

In Feld, Wald und Wiesen entfaltete sich an kühlen Maitagen rege Tätigkeit. Unter der Leitung von Thorsten Keuer, einem biologisch-dynamischen Landwirt in Loheland, bauten Schüler und Lehrer eine begehbare, aus Totholz geflochtene Spirale als Symbol dafür, wie sich durch das Zusammenwirken von Mensch, Tier, Pflanze und Boden Fruchtbarkeit bildet. CO2-neutrale Transport- und Feldarbeiten wurden vom »Eselteam« durchgeführt: Astbündel ziehen, Weiden abschleppen, Getränkekisten abliefern – wo die Eseldamen Mira und Charlotte mit zweibeiniger Begleitung auftauchten, war erst mal eine kleine Streichelpause fällig. In Schmiede und Holzwerkstatt stellten die Schüler archaische Jagd- und Esswerkzeuge her – wie vielerorts in der Welt bis heute üblich. Erfahrene »Ranger« vom Biosphärenreservat Rhön bauten zusammen mit Jugendlichen Wohnraum für Wildbienen – schließlich liegt die Möglichkeit der Fruchtbildung nicht direkt in unserer Hand. Verantwortung für die menschliche Ernährung schließt die Kulturlandschaft mit ein.

Wenn alles irgendwie gewachsen und geerntet ist, geht es allerdings erst richtig los: Essen, was direkt vor unseren Füßen wächst, geht das, oder muss das erst irgendwo behandelt werden? Wie wird Wildwuchs zum Lebensmittel? Vom Wildkräutersalat bis zum köstlichen Kräuterquark stellten die Jugendlichen fachkundig begleitet Kostproben für eine Mahlzeit her. An einem Vormittag gingen zudem in einer Gemeinschaftsaktion für über 90 Menschen Pizza und Brötchen erst durch viele Hände und dann durch das Feuer im Backhaus.

Interkulturelle Aspekte wurden bei Kyoko und Alexander Sust erfahrbar: Was betrachten wir als essbar, wie ändern sich Essgewohnheiten zu verschiedenen Zeiten und an verschiedenen Orten? Trauen wir uns, etwas zu probieren, was ungewohnt ist? Und umfasst Essen nicht viel mehr, als nur den Hunger zu stillen? Erinnerungen, Sehnsüchten und Fragen von Gerechtigkeit, Mangel und Überfluss rund um das Essen näherte sich eine Gruppe im Kunstworkshop, der von Dorle Schmidt (Anna-Schmidt-Schule/Frankfurt) und Hans-Otto Fentrop (Loheland) geleitet wurde.

Von der Erzeugung über Handel, Verarbeitung und Genuss hat das Thema Essen viel mit Beziehungen zu tun – und für deren Gestaltung sind wir alle gemeinsam verantwortlich. Was hier möglich werden könnte, zeigt der Dokumentarfilm »Voices of Transition« von Nils Aguilar: Menschen in aller Welt machen sich für neue Formen der Kooperation zwischen Stadt und Land, Mensch und Natur stark, um einen Wandel unseres Ernährungssystems hin zu mehr Nachhaltigkeit und Ernährungssicherheit vorzubereiten.

Menschen, die in der Erzeugung und im Handel von Lebensmitteln tätig sind, kamen am letzten Tag des Camps zu uns – zum Beispiel Wolfgang Gutberlet vom Handelsunternehmen »tegut«, Mitarbeiter des Fuldaer Weltladens und des Unesco-Biosphärenreservats Rhön. Kleine Gesprächsrunden erörterten Fragen nach der Verantwortung und den Handlungsmöglichkeiten einzelner, von Unternehmen und Schulen. Diese Möglichkeiten sind noch längst nicht ausgeschöpft.

Kontakt: Dr. Andreas Herberg-Rothe, E-Mail: herberg-rothe@web.de | Dr. Anja Christinck, E-Mail: mail@seed4change.de

Links: www.loheland.de | Protokoll Tagung Loheland


Unesco-Projektschulen


Im weltweiten Netzwerk der Unesco-Projektschulen engagieren
sich Lehrer und Schüler gemeinsam für eine Kultur des Friedens, für den Schutz der Umwelt, für eine nachhaltige Entwicklung und für einen gerechten Ausgleich zwischen Arm und Reich. Diese Themen werden im Schulalltag beispielhaft umgesetzt. Weltweit gibt es rund 9.000 Projektschulen der Bildungs- und Kulturorganisation der Vereinten Nationen in 180 Ländern. In Deutschland sind es etwas mehr als 150, davon (nur) sechs Waldorfschulen.