»Fair ist geil« steht auf Martins T-Shirt. Der Mitbegründer der Schülerfirma »FairWear« berichtet, dass es leider zu Lieferverzögerungen kam und darum heute nur eine begrenzte Kollektion T-Shirts zum Verkauf steht. Ein Stückchen weiter gibt es Bienenstich und Lippenbalsam von »Berlin Bees«, die Honigprodukte aus eigener Bienenhaltung verkaufen. Beides sind Neugründungen, die heute zu Gast beim Jubiläum von »Steinbrücke«, einer Schülerfirma der Waldorfschule Märkisches Viertel in Berlin sind. »Steinbrücke« ist weltweit vernetzt und handelt schon seit zwanzig Jahren mit Mineralien, ihr Umsatz beläuft sich bisher auf über stolze 300.000 Euro.
Vier Projekte feiern auch mit: Eine inklusive Schule aus Baobab in Ghana, das Flüchtlingsprojekt »Neue Nachbarschaft Moabit«, wo sich Migranten und alteingesessene Berliner treffen und zusammen lernen – jene Deutsch, diese Arabisch und Farsi. Auch das Projekt »Freunde des ehemaligen Kindersoldaten Junior Nzita Nsuami« ist vertreten. Yannik aus der achten Klasse hatte sich im Rahmen seines Jahresprojektes mit diesem Thema beschäftigt, nun steht er auf der Bühne und erzählt, wie Kinder im Kongokrieg entführt und manipuliert werden, bis sie zu töten bereit sind. Yanniks Vater steht auch da. Bewegt schildert er, wie die Eltern die Themenwahl des Sohnes zuerst befremdet hat, dieses Gefühl aber bald Interesse und Engagement gewichen ist.
Auch 15 Jugendliche des Straßenkinderprojektes Zaza Faly aus Madagaskar sind eingeladen. Alle Projekte werden von »Steinbrücke« unterstützt, Zaza Faly schon seit 19 Jahren. Fünfundvierzigtausend Euro sind allein an diese Initiative geflossen.
Wirtschaft ist nicht etwas für andere
Der Ruf nach mehr Wirtschaftsunterricht an Schulen ist groß. An staatlichen Schulen versuchen vielfach Wirtschaftsverbände und Interessenvertretungen diese Lücke zu schließen. Doch nicht nur Gewerkschaften positionieren sich gegen diesen Trend, auch die Bundeszentrale für politische Bildung warnt in ihrem Buch »Ökonomie und Bildung« vor einem monoperspektivisch ausgerichteten Unterricht, der ein zu positives Bild der Marktwirtschaft vermitteln könnte. Auch alternative Wirtschaftskonzepte sollen in der Schule thematisiert werden.
In Waldorfschulen gibt es ebenfalls kein Fach »Wirtschaft«. Der Einwand, dass jedes zusätzliche »Fach« auch die Gefahr einer verengten Perspektive birgt, ist berechtigt. Es soll in der Ökonomie nicht nur um Themen wie Preisbildung, Marketing und Zahlungsverkehr gehen, sondern auch um geschichtliche und sozialwissenschaftliche Zusammenhänge wie Kolonialisierung, Globalisierung und Geldschöpfung. Doch können diese im Geschichts- und Sozialkundeunterricht ausreichend behandelt werden? Wie lernen Schüler wirtschaftliches Denken und soziales Empfinden zu verbinden und urteilsfähig zu werden?
Hier bieten Schülerfirmen Raum zum Üben. Die Schülerinitiative »Steinbrücke« ist aus Michael Benners Erdkundeunterricht und dem Thema Globalisierung entstanden – aus der Frage, was passiert, wenn das letzte Paket Kaffee aus dem Supermarktregal verkauft und der Großhändler die letzte Palette geliefert hat? Welche Beziehung besteht zwischen Produktion, Handel und Verbraucher? Und was haben die Konsumenten mit den Arbeitsbedingungen der Menschen in der Produktion zu tun? Schüler durchschauen diese Zusammenhänge schnell, sie erkennen, wenn Bedingungen nicht gerecht sind. Aus dem Bedürfnis, zu helfen, werden sie Mitunternehmer bei »Steinbrücke«.
»Spaghetti-Sitzungen«
Über 200 Schüler der Waldorfschule Märkisches Viertel haben sich seit 1996 für die Schülerfirma engagiert. Einmal im Jahr gibt es »Spaghetti-Sitzungen«, dann entscheiden sie, an welche Initiativen weltweit die Gewinne aus dem Mineralienverkauf ausgeschüttet werden sollen – und das dauert – wie Spaghetti lang sind.
Über 100.000 Euro sind inzwischen an Projekte in 16 Ländern geflossen. Es ist dabei kein Geheimnis, dass die Mineralien von »Steinbrücke« nicht fairtrade gehandelt sind. Auf die Arbeitsbedingungen in den Minen weltweit kann die Schülerfirma keinen Einfluss nehmen. Die jungen Leute wissen auch, dass sie zwar Geld an die Projekte eines ehemaligen Kindersoldaten im Kongo spenden, gleichzeitig aber jeder von ihnen mit seinem Handy ein Stück Krieg in der Tasche hat, denn dieser Krieg, in dem Kinder zu Soldaten gemacht werden, ist auch ein Krieg um den Rohstoff Coltan, ein Mineral, das in jedem Smartphone zu finden ist und mit dessen Plünderung Ruanda und Uganda den Krieg finanzieren. Also alles Sozialromantik? Das wäre zu kurz gesprungen!
Der Dreigliederer Johannes Mosmann brachte es in einem Interview mit den Schülern von »Steinbrücke« einmal auf den Punkt. Er konfrontierte sie damit, dass die Steine doch eigentlich noch gar nicht bezahlt seien, da viel zu billig. Über Gerechtigkeit und wie man es besser machen kann, wird bei »Steinbrücke« viel diskutiert.
Die Gewinne laufen zu 100 Prozent zurück, zwar nicht direkt an die Minenarbeiter, »aber sie kommen anderen Menschen in dem selben Land zu Gute«, erwidern die Neuntklässler Mosmann, »und unsere Hoffnung ist, dass die Situation auch für die Minenarbeiter besser wird, wenn wir durch unsere Spende Straßenkinder unterstützen und so die sozialen Verhältnisse in dem Land insgesamt verbessern«.
Zukunftsbildung konkret
Eine Schülerfirma kann keinen Einfluss auf die politische Gestaltung eines ungerecht wirtschaftenden Systems nehmen und die Hilfe, die sie durch die Unterstützung von Projekten leistet, mag gering sein, aber die Schüler sind die Wirtschaftssubjekte der Zukunft; in einer Schülerfirma erleben sie, dass jede wirtschaftliche Handlung in einem globalen Zusammenhang steht und jedes Tun ein Impuls für die Zukunft ist.
Im Vorfeld der 100-Jahrfeier der Waldorfpädagogik 2019 wird immer wieder die Frage nach deren Zukunftsimpuls gestellt. Blicken wir auf unsere rasant sich verändernde, globalisierte und digitalisierte Welt mit ihren weltweiten wirtschaftlichen Verflechtungen, auf Klimawandel und Migration und das gleichzeitige Aufbrechen von Nationalismen und Zukunftsangst, dann ist sicher eine der großen Aufgaben der Waldorfpädagogik, sich den ökonomischen und sozialen Zeitfragen zu stellen! »Steinbrücke« ist ein Beispiel dafür, wie dies in der Schule geschehen kann.
Aber es ist noch mehr nötig, nämlich der öffentliche Diskurs zum Gedanken der Assoziation, der geschwisterlichen Zusammenarbeit von Produktion, Handel und Verbraucher. Assoziatives Handeln ist ein Grundzug der sozialen Dreigliederung, er wird ergänzt durch die Idee der Gleichheit im Rechtswesen und das freie und individuelle Geistesleben. Mut und Vertrauen in die jungen Menschen sind nötig, um sich dieser Aufgabe zu stellen.
Bei »Steinbrücke« stimmen Schüler und Lehrer über den Kauf von Mineralien demokratisch ab. Einmal war Michael Benner nah daran, sich auf seine Autorität als Lehrer zu berufen. Weder seine langjährige Erfahrung, noch fundierte Einwände konnten die Schüler davon überzeugen, Abstand vom Kauf eines sogenannten Igels, eines dornigen Bergkristalls, zu nehmen. Mit viel Bauchweh beugte sich Benner schließlich der Mehrheit. Das Mineral wurde für eine stattliche Summe erworben. Michael Benner hielt es für einen Ladenhüter, der bestimmt irgendwann weit unter Preis verkauft werden würde. Doch er irrte. Mit gutem Gewinn ging der Kristall schon nach wenigen Tagen an eine Dame, die von dem Konzept »Steinbrücke« begeistert war.
Im Wirtschaftsleben gibt es eben keine absoluten Wertzuschreibungen, sie bleiben immer subjektiv.
Zur Autorin: Ingrid Schütz ist Lehrerin für Englisch und Philosophie und unterrichtet an der Emil Molt Akademie in Berlin. Das Interview mit Mosmann finden Sie hier