WooDoo

Konrad Daubek

Gruno Nordin ist 16 und arbeitslos, wie viele in seinem Alter. 28 Prozent der Finnen zwischen 15 und 24 Jahren haben keinen Job. Und das, obwohl die Finnen laut PISA-Studie regelmäßig Bestnoten einfahren. Mit Projekten und Initiativen versucht die Politik gegenzusteuern. »WooDoo« ist eines davon. Der Name steht für »Wood« und »Do«. 35 Jugendliche stehen hier an den Hobelbänken und Maschinen. Jyrki Tolvanen kümmert sich um sie. Den Mann mit den glasigen blauen Augen und dem dicken Bauch nennen die meisten hier nur »Boss«. Die Jugendlichen respektieren ihn. Ruhig, aber bestimmt zeigt er ihnen die Maschinen, hilft, kleine Möbelstücke zu planen, und wenn er gut drauf ist, macht er hin und wieder einen Scherz. »An der Hobelbank merken die Jugendlichen, was sie mit ihren eigenen Händen schaffen können«, sagt Tolvanen. »Das motiviert und gibt Erfolgsgefühle.«

Mit einem Buttermesser gegen Alkohol und Drogen

Über eine Jobvermittlung fand Gruno Nordin den Weg in die »WooDoo«-Werkstatt. Nachdem er die Schule mit Ach und Krach hinter sich gebracht hatte, fehlte die Orientierung. Alkohol und Drogen halfen, die Langeweile jeden Tag zu bekämpfen. Die Eltern der Jugendlichen sind meist selbst arbeitslos. Die Frau bei der Jobvermittlung bot Gruno einen Schreiner-Workshop an. Seit zwei Tagen kommt er nun morgens in die Werkstatt. Dort herrschen klare Regeln.

Wer getrunken hat, muss wieder gehen. Wer Drogen dabei hat, fliegt raus. Und wer nicht pünktlich auf der Matte steht, der wartet nicht lange, bis Tolvanen auf dem Handy anruft. »Ich checke jeden Morgen, ob die Jugendlichen in guter Verfassung sind«, sagt Tolvanen. Das ist wichtig bei den ganzen Maschinen in der Werkstatt. Niemand soll sich verletzen. Auch die richtige Arbeitskleidung ist wichtig. Vor ein paar Wochen kam ein Mädchen mit High Heels in die Werkstatt. »Da hab ich ihr gesagt, dass ihre Schuhe zu teuer seien, um sie in der Werkstatt schmutzig zu machen.« Tolvanen lacht. Sie habe es eingesehen. Gemeint ist die 18-jährige Wera Karumo. Seit diesem Tag trägt sie richtige Arbeitsschuhe. Dafür sind ihre kunstvoll lackierten Fingernägel so lang, dass sie die Arbeit an der Bandschleifmaschine wohl nicht unbeschadet überstehen werden. Ein Buttermesser aus Holz. Das ist die erste Aufgabe für die Jugendlichen in der Werkstatt. Aussägen, schleifen und ölen. Danach bauen viele einen Stuhl, bevor sie sich an größeren eigenen Projekten versuchen. Ideen gibt es genug und Holz ist in Finnland keine Mangelware. 68 Prozent des Staatsgebietes ist mit Wald bedeckt. Die Holzwirtschaft gehört zu den größten Wirtschaftssektoren Finnlands. Vorrangig wachsen hier Kiefern, Fichten und Birken – Hölzer, die auch Tolvanen in seiner Werkstatt verwendet. Er will den Jugendlichen beibringen, umweltbewusst zu denken. Die Bretter im Holzlager sind ausschließlich Massivholz.

Die staatliche Spiele-Lotterie hilft

Gegründet wurde »WooDoo« vor 20 Jahren. Während der finnischen Wirtschaftskrise Anfang der 1990er Jahre fanden vor allem junge Leute keine Jobs. Mit Geld aus dem Europäischen Sozialfonds entstand das Projekt. Zahlreiche solcher Initiativen gibt es im Großraum Helsinki. In einer KFZ-Werkstatt reparieren Jugendliche Motorräder und Autos, andere kochen in einer Mensa jeden Tag für mehrere Hundert Leute. Das Geld für diese Projekte kommt aus der staatlichen Spiele-Lotterie oder aus Sozialfonds.

Es ist Nachmittag, als Tolvanen sich auf den Fahrersitz seines Toyota Busses schwingt. Er fährt in ein Wohngebiet, fünf Minuten von der Werkstatt entfernt. Vier seiner Jungs montieren hier eine Deckenverkleidung in einer Wohnung. Mit einer Druckluftpistole tackern sie schmale, dünne Bretter auf die Balken. Ein Freund von Tolvanen zieht hier bald ein. Immer wieder erledigen die Jugendlichen Auftragsarbeiten. Bekannte bringen Möbel zur Reparatur vorbei oder lassen neue bauen. Der Preis ist günstig, dafür dauert es länger. Wer sich in der Werkstatt profiliert, bekommt bald auch einen Lohn. 35 Euro am Tag. Das ist nicht viel, aber eine Anerkennung. Die meisten Jugendlichen sind fünf Monate hier. Danach bewerben sie sich für einen Ausbildungsplatz oder an einer weiterführenden Schule. Tolvanen hält Kontakt zu seinen ehemaligen Mitarbeitern. Viele finden eine Stelle oder machen sich irgendwann selbstständig. Doch auch mit Rückschlägen muss er leben. Ein Fünftel der Leute brechen den Workshop schon nach ein paar Wochen ab.

Es ist fast fünf Uhr als Gruno Nordin seinen Platz an der Hobelbank verlässt. Mit dem Zeigefinger streicht er über das glatte Stück Holz in seiner Hand. Viel Schleifpapier hat er gebraucht, dass es sich so weich anfühlt. Als erstes das ganz grobe, dann wurde es immer feiner. Auch Wera Karumo zieht ihren roten Arbeitskittel aus und macht sich auf den Heimweg. Heute haben ihre Fingernägel überlebt. Sie will sie trotzdem schneiden. Lachend klopft ihr Tolvanen auf die Schulter: »Eine gute Entscheidung.«

Zum Autor: Konrad Daubek ist Student an der Kölner Journalistenschule. Neben der journalistischen Ausbildung studiert er Volkswirtschaftslehre und Politik an der Universität zu Köln und arbeitet als freier Journalist. Seine ersten drei Schuljahre verbrachte er an der Waldorfschule Schwäbisch Hall.