Wie ein Kind strahlt sie uns mit einem zahnlosen Lächeln an. Sie deutet auf die Kamera, die um Rebeccas Hals hängt, ihre Augen leuchten. Überhaupt sind ihre Augen wohl die einzige Möglichkeit, zu kommunizieren, denn sie spricht kein Englisch und das Herumgefuchtel mit Armen und übertriebener Gestik ist oft missverständlich. Der vertrauensvolle Ausdruck auf ihrem von Sonne und Wetter gegerbten Gesicht lässt allerdings keinen Zweifel: unsere kenianische Großmutter möchte fotografiert werden. Etwas ungläubig starrt Rebecca sie an. Seit Tagen wünschen wir uns, ihr kindliches Staunen auf einem Foto festhalten zu können und zögerten, da wir nicht wussten, wie sie darauf reagieren würde. Langsam hebt Rebecca die Kamera und drückt auf den Auslöser.
»Do you wanna see the picture?« Die Antwort ist ein glucksendes Lachen, als sie ihr Portrait sieht. Dann dreht sie sich um und schlurft zu ihrem gewohnten Platz auf der Bank in der Sonne zurück. Wir wenden uns wieder unserer Arbeit, dem Einpflanzen von Macadamiasetzlingen zu, das wir nach fünf Minuten wieder beenden, da eine Teepause ansteht.
Zu diesem Zeitpunkt waren wir bereits seit zwei Wochen in Kenia und seit zehn Tagen in einem kleinen Dorf im Embu-County, das zwischen Nairobi und dem Mount Kenya liegt. Unsere Reise hatte aber eigentlich schon vor einem Jahr begonnen. Den größten Teil des benötigten Geldes sammelten wir gemeinsam durch einen Spendenlauf, das Putzen von Klassenzimmern, den Verkauf von Macadamianüssen der mit dem Keniaaufenthalt verbundenen Firma »macadamiafans« und vielem mehr. Schon allein dadurch lernten wir, Verantwortung zu übernehmen und selbstständiger zu werden.
Aufgeben geht nicht
Im Dorf lebten wir bei einer Bauernfamilie in einer Holzhütte zwischen Bananenpalmen, Maispflanzen, Zuckerrohr, Macadamiabäumen und einer Kuh. Es war grüner, als wir es uns vorgestellt hatten. Trockenheit spielte Dank der Regenzeit keine große Rolle. Ab dem Zeitpunkt unserer Ankunft wurden wir als neue Familienmitglieder aufgenommen und pflanzten Bäume, ernteten Nüsse, bauten einen Tisch, misteten den Kuhstall aus und lernten, auf kenianische Art zu kochen.
Später merkten wir, dass wir viel mehr gelernt hatten, als mit einer Machete umzugehen, auf offenem Feuer zu kochen (zumindest einigermaßen) und Küken zu retten: Wir haben gelernt, nicht aus Angst davor zu versagen, schon im Vorhinein aufzugeben, sondern es erst einmal zu versuchen … Wir merkten auch, dass viele Lernprozesse schon durchs Zuschauen stattfinden und es bei manchen Dingen gar nichts nützt, mit dem Verstand etwas erklären zu wollen.
Eine der ersten Aussagen unserer Dorfführerin Zippy, eines Mädchens, das ein Jahr älter ist als wir, schockierte uns: Sie war der festen Überzeugung, weiße Menschen seien in allem besser als Schwarze und ließ sich auch durch unsere Erklärungen nicht wirklich davon abbringen. Deshalb war es für uns eines der schönsten Erlebnisse, als im Laufe der Zeit wahrnehmbar wurde, dass dieses Gefühl bei ihr und auch den anderen Dorfbewohnern abnahm, da sie sahen, dass wir genauso arbeiteten und uns meistens plumper anstellten als sie … Später, als wir Zippy noch einmal darauf ansprachen, erfuhren wir, worauf diese Überzeugung größtenteils zurückzuführen ist: Vor uns waren schon einmal Weiße in diesem Dorf zu Besuch und hatten den Bewohnern den Satz: »you look like a monkey« hinterlassen. Wir waren fassungslos …!
Zippy erklärte uns außerdem, dass diese Ansicht hier weit verbreitet sei, da man mit Weißen Geld und damit Glück und gesellschaftliches Ansehen verbindet.
Seltsames ergibt Sinn
Tief eingebrannt ist ebenfalls die Rollenverteilung zwischen Mann und Frau – zu Küchenarbeiten wurden die Mädchen, zu Stallarbeiten die Jungs gerufen … Allerdings wurde uns auch klar, dass Bewohner entwickelterer Länder oft der Ansicht sind, »es« besser zu wissen und sich dadurch das Recht herausnehmen, über Entwicklungsländer zu urteilen, obwohl sie keine Ahnung von der realen Situation dort haben. Außerdem scheinen sie eigene Defizite und Fakten zu vergessen, wie zum Beispiel, dass die Gleichberechtigung von Männern und Frauen auch bei uns bis heute noch nicht gänzlich umgesetzt ist.
Bei einer unserer Teepausen fiel uns Folgendes auf: Hier liegt zwar viel Plastikmüll herum, würde es allerdings in Deutschland keine Müllabfuhr geben, ertränken wir wahrscheinlich im Abfall. Das sollte man sich stets vor Augen halten, bevor man ein Urteil über die sogenannte Unsauberkeit hier fällt. Viele Dinge, die uns am Anfang seltsam vorkamen, wie zum Beispiel der Verkauf von Türen an Straßenrändern, ergaben, je länger wir hier waren, immer mehr Sinn. Die Haustüren werden nämlich, wie die meisten Dinge, spontan eingebaut. In Deutschland wäre das unvorstellbar.
Es fällt uns schwer, bestimmte Highlights unserer Reise zu nennen, da die gesamte Zeit unfassbar erfahrungsreich, beeindruckend, intensiv und eine der schönsten in unserem bisherigen Leben war! Sowohl vor unserem Aufenthalt im Dorf als auch danach, waren wir bei einer Gastfamilie in Nairobi und auf einer größeren Farm, die den Eltern unseres Guides Luca gehört.
Dort machten wir unterschiedliche Ausflüge, unter anderem zu wunderschönen Naturschauplätzen, zu einer Universität für Landwirtschaft, eine Safari und einen Besuch bei einer Elefantenauffangstation. Immer wieder, wohin wir auch kamen, empfing uns unglaubliche Freundlichkeit, Offenheit und Herzlichkeit.
Wir werden oft gefragt, wie wir uns durch unseren Aufenthalt verändert haben und was er uns »gebracht« habe. – Wenn man andere Lebens- und Sichtweisen kennengelernt hat, ist es wahrscheinlich, dass man anfängt, Altbekanntes und Gewohntes zu hinterfragen: Wie möchte ich eigentlich leben, was ist mir wichtig und was ist überflüssig? Vor allem bezogen auf Werte und innere Einstellungen, die als Grundlagen für das praktische Leben dienen und aus denen man seinen eigenen Lebensstil entwickelt. Außerdem ist die freundliche Haltung der Menschen, denen wir begegnet sind, übernehmenswert!
Zu den Autorinnen: Amrei Hailer und Rebecca Meißner besuchen die 11. Klasse der Rudolf-Steiner-Schule in Gröbenzell.