Studie: Schüler an Freien Alternativschulen fühlen sich wertgeschätzt
Schüler an Freien Alternativschulen identifizieren sich sehr stark mit ihrer Schule, bewerten das Schüler-Lehrer-Verhältnis positiv und empfinden das Lernen inhaltlich wie methodisch sinnvoll. Zu diesen Ergebnissen kommt eine Studie der Alanus Hochschule für Kunst und Gesellschaft in Alfter bei Bonn.
Dirk Randoll, Professor für Erziehungswissenschaft, Jürgen Peters, Lehrbeauftragter im Fachbereich Bildungswissenschaft und die freie wissenschaftliche Mitarbeiterin Ines Graudenz haben Schüler der Sekundarstufe I an Freien Alternativschulen zu Lernerfahrungen und Schulqualität befragt.
Ihre Studie »Bildungserfahrungen an Freien Alternativschulen« ist im August im Springer VS-Verlag erschienen.
Identifikation und Wertschätzung
Die Befunde lassen erkennen, dass sich Schüler an Freien Alternativschulen gut mit ihrer Schule identifizieren können. 93,1 beziehungsweise 82,2 Prozent der befragten Schüler geben an, dass sie sich an der Schule wohl beziehungsweise ihr zugehörig fühlen. Das Lernen ohne Leistungsdruck ist nach Ansicht der befragten Schüler das wichtigste elterliche Motiv, sich für eine Freie Alternativschule zu entscheiden. An zweiter und dritter Stelle werden die Freiheiten und das Mitspracherecht als Gründe angeführt. Die Mehrheit der Befragten nimmt das Verhältnis zu ihren Lehrern als vertrauensvoll wahr. Rund 85 Prozent fühlen sich von ihren Lehrern wertgeschätzt. Die Lehrer-Schüler-Beziehung definiert sich nicht in erster Linie über die von den Schülern erbrachten schulischen Leistungen, sondern basiert viel mehr auf Respekt und Achtung vor der Individualität des Gegenübers. »Schülerinnen und Schüler an Freien Alternativschulen spüren, dass die Lehrer ihnen vertrauen. Sie brauchen keine Motivation von außen, sondern stellen von sich aus Fragen. Aus dieser Neugierde heraus wird Unterricht entwickelt«, erklärt Randoll, der eine Professur für Erziehungswissenschaft mit dem Schwerpunkt quantitative empirische Sozialforschung an der Alanus Hochschule innehat. Mehr als 80 Prozent der Schüler halten ihre Lehrer auch für fachlich kompetent. Etwa drei Viertel attestieren ihnen einen interessanten und spannenden Unterricht.
Mehr Führung und Orientierung
Jeder zweite Schüler wünscht sich jedoch auch mehr Führung und Orientierung durch die Pädagogen. Hier empfehlen die Autoren, das Lernen differenzierter auf die unterschiedlichen Bedürfnisse und Voraussetzungen der Schüler auszurichten und ihnen mehr Möglichkeiten zur Orientierung an die Hand zu geben. 60 Prozent der Schüler artikulieren außerdem, dass sie mehr hätten lernen und leisten können, wenn auch mehr von ihnen gefordert worden wäre. Knapp die Hälfte der Schüler spricht sich für Noten ab der Mittelstufe aus. Auch die Unsicherheit vieler Schüler, ob sie den angestrebten Schulabschluss erreichen, macht die Notwendigkeit einer klareren Leistungs- beziehungsweise Feedbackkultur deutlich.
Hohe Anzahl an Quereinsteigern
Eine Besonderheit an Freien Alternativschulen ist der hohe Anteil von Quereinsteigern, der darauf hinweist, dass diese Schulen für viele Schüler eine wichtige Wahlmöglichkeit außerhalb des Regelschulsystems darstellen. Vor allem nach der Grundschule suchen viele Schüler und Eltern eine Alternative zur Regelschule. »Über 60 Prozent der Schülerinnen und Schüler sind Quereinsteiger. Wir haben auch andere Befragungen an Waldorf- und Montessorischulen durchgeführt. Bei den Freien Alternativschulen ist der Anteil der Quereinsteiger mit Abstand am höchsten«, erklärt Randoll. Als Motiv für die Schulwahl geben die Schulwechsler hauptsächlich ihre schlechten Erfahrungen an der vorherigen Schule an. »Die neu gewonnene Freiheit an der Freien Alternativschule ist den Quereinsteigern sehr wichtig, aber gleichzeitig haben sie die größten Schwierigkeiten, damit umzugehen«, erklärt Peters. Sie nehmen sich zudem sehr häufig als leistungsschwache Schüler wahr. Die Studie dokumentiert aber auch, dass sich die Unterschiede zwischen den Quereinsteigern und den Schülern, die seit der ersten Klasse die Freie Alternativschule besuchen, bis zur 10. Klasse nivellieren. Trotzdem ist die Integration der unterschiedlichen Ansprüche eine große Herausforderung, auf die auch der Bund der Freien Alternativschulen, mit dessen Unterstützung der Fragebogen erstellt wurde, reagieren will. Klaus Amann, Mitglied im Bundesvorstand, erklärt: »Die Studie hat deutlich gezeigt, dass man ein Konzept für Quereinsteiger braucht. Diese neuen Erkenntnisse fließen bei uns direkt in die Beratung von Schulinitiativen beispielsweise bei Neugründungen mit ein.«
Die Studie
Die Studie beruht auf einer schriftlichen Befragung von 947 Schülern, die im Schuljahr 2013/2014 die Sekundarstufe I einer Freien Alternativschule besucht haben. Zum Zeitpunkt der Untersuchung hatte der Bundesverband der Freien Alternativschulen 91 Mitgliedsschulen. Von den 47 Schulen mit Sekundarstufe I haben sich 38 an der Befragung beteiligt, was einem Anteil von 81 Prozent entspricht. Professor Randoll und sein Team haben in weiteren Studien die Lernerfahrungen an Waldorf- und Montessorischulen untersucht.
Randoll, Dirk / Graudenz, Ines / Peters, Jürgen: Bildungserfahrungen an Freien Alternativschulen. Eine Studie über Schüleraussagen zu Lernerfahrungen und Schulqualität. Springer-VS, Wiesbaden 2016, 121 S.,
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